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POSITION: Selbstbeschränkung tut Not

Postenvergabe: Die Parteiendemokratie in der Legitimationskrise

Stand:

Über 90 Prozent der Ostdeutschen erachten die Demokratie als wichtige Errungenschaft, aber gerade einmal 37 Prozent haben nach einer neuen Studie der Universität Leipzig noch Vertrauen in die politischen Parteien.

Nun gibt es das Grundunbehagen an dem Auseinanderklaffen von Verfassungsanspruch („Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“) und Verfassungswirklichkeit schon länger. Alle Kritik am Machtanspruch der Parteien, an Ämterpatronage und Einflussnahme auf Verwaltung und Rechtssprechung blieb ohne Folgen, solange sie dem Anspruch, einziges Instrument zur Herausbildung politischer Eliten zu sein, durch Bereitstellung qualifizierten Personals gerecht werden konnten. Was aber, wenn die Menschen sich zunehmend von den Parteien abwenden und der Nachwuchs ausbleibt?

In Brandenburg kommt inzwischen auf 100 Einwohner nur noch ein Parteimitglied. In der seit 1991 das Land dominierenden SPD verlieren sich gerade einmal 6800 Mitglieder, in der schrumpfenden CDU Brandenburgs frönen noch rund 7000 Mitglieder dem Parteileben.

Und was wollen da nicht alles für Mandate und Funktionen besetzt werden: Sitze in Landtag, Bundestag und Europaparlament, Gemeindevertretungen und Kreistagen aber auch Ministerposten und Polizeipräsidien, Landräte, Kreisbeigeordnete und Bürgermeister, Verfassungsrichter und nun auch die Spitze des Landesrechnungshofs wollen die Parteien besetzen. Kein Wunder, dass beide „Volksparteien“ versuchten, ihre schmalbrüstigen Funktionärsschichten durch Personalimporte zu stabilisieren. Nicht immer mit durchschlagendem Erfolg: Unvergessen sind die drei Glücksritter Fürniß, Schelter und Hackel (alle CDU), die in der letzten Legislaturperiode einer nach dem anderen ihre frisch erworbenen Ministerämter im Gefolge diverser Affären aufgeben mussten.

Den Regierungsparteien fehlt der Zulauf und sie sind schon froh, wenn die Mitgliederzahl stagniert oder nicht gar zu deutlich sinkt. Nicht etwa, dass es kein politisches Engagement mehr gäbe. Bürgerinitativen und Verbände verzeichnen Zuwächse, der Naturschutzbund könnte mit seinen 9300 Mitgliedern in Brandenburg inzwischen SPD, FDP und Grüne zusammen übernehmen. In kleinen Gemeinden haben Wählergruppen längst das Heft des Handelns in der Hand, ehrenamtliche Bürgermeister mit Parteibuch sind in der Minderheit. Die Zivilgesellschaft blüht auf in Bürgerstiftungen und Kulturvereinen. Mitarbeit in Parteien gilt dagegen fast als unehrenhaft. Noch ist damit nicht die Demokratie in Gefahr, wohl aber die Parteiendemokratie.

Was ist zu tun?

- Selbstbeschränkung tut not. Das heißt Abschied nehmen von dem Anspruch, auf jedem erreichbaren Posten Parteigänger eigener Farbe zu installieren. Gerade das unwürdige Beispiel um die Neubesetzung der Spitze des Landesrechnungshofs, dem per Verfassungsauftrag überparteilichen und neutralen Fachgremium schlechthin, zeigt dies überdeutlich. Es wäre schon viel erreicht, wenn die Parteien für alle Parlamente auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene genügend kompetente Bewerber und Bewerberinnen nominieren könnten. Hierzu müssen sie sich der Gesellschaft öffnen und Nichtmitglieder vermehrt mitwirken lassen.

- Mit der Gewaltenteilung muss ernst gemacht werden: Die Parteien sollen sich vollständig aus der Besetzung von Gerichten, Staatsanwaltschaften und Polizeipräsidien heraushalten. Richterämter sind durch Richterwahlausschüsse ohne Parteieinflussnahme zu bestimmen.

- Positionen in der Verwaltung sind prinzipiell durch Ausschreibung zu besetzen.

Die positiven Erfahrungen bei der Bestimmung der neuen Integrationsbeauftragten des Landes zeigen, dass auf diesem Weg Persönlichkeiten mit Format gefunden werden können.

- Wir müssen zudem Verständnis für die Rolle von Parteien in unserem politischen System schaffen. Wenn mehr als die Hälfte der Bevölkerung die Aufgaben der Opposition nicht kennt und Föderalismus für zwei Drittel ein Fremdwort ist, dann mangelt es an Grundkenntnissen. Symptomatisch, dass das Fach Politische Bildung in der Sekundarstufe II weder Pflichtfach ist, noch flächendeckend angeboten wird.

- Bürgerschaftliches Engagement muss gefördert werden. Mitgliedschaft in demokratischen Parteien gleich welcher Couleur sollte wie die Mitarbeit in Bürgerinitiativen und Verbänden bei der Besetzung von Stellen positiv zählen. Zugleich gilt es Volksbegehren und Bürgerentscheide zu erleichtern und den Bürgern so mehr politische Teilhabe zu ermöglichen.

Der Autor ist Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg.

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