Brandenburg: Sensation am Scharfenberg
Archäologen entdeckten bei Wittstock ein Massengrab aus dem Dreißigjährigen Krieg
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Scharfenberg - Archäologen haben bei Ausgrabungen in Scharfenberg bei Wittstock (Ostprignitz-Ruppin) ein Massengrab aus dem Dreißigjährigen Krieg entdeckt. Grabungstechniker des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege sind derzeit dabei, das in einer Kiesgrube entdeckte Grab Schicht für Schicht mit Spaten, Staubsauger und Pinsel freizulegen. Und mit jeder Schicht, die abgetragen wird, steigt die historische Bedeutung dieses Massengrabes aus dem 17-Jahrhundert.
„Europaweit sind bislang nur vier Grabstätten vergleichbaren Charakters gefunden worden“, sagt die Grabungsleiterin Anja Grothe vom Landesamt. Die Grabstätte sei für die Archäologen deshalb so wichtig, weil hier nur eine Berufsgruppe bestattet worden ist. So können viele offene Fragen zum Soldatenleben vor 371 Jahren am Stück geklärt werden. Etwa, welche Krankheiten die Soldaten hatten, wie alt sie waren und woher sie stammten.
Wer sie waren, kann bislang nicht genau gesagt werden. Bekannt ist aber, dass sich am 5.Oktober 1636 Kaiserliche und Sachsen sowie Schweden hier die den Überlieferungen nach blutigsten Schlacht des Dreißigjährigen Krieges geliefert hatten – die Schlacht am Scharfenberg, die die Schweden überraschend gewannen. Etwa 40 000 Soldaten hatten auf beiden Seiten gekämpft. Nach Überlieferungen aus dieser Zeit sollen 6000 bis 7000 Kämpfer am Scharfenberg gefallen sein.
Mitarbeiter der Kiesgrube hatten im April 2007 Knochenteile gefunden und das Museum für den 30-jährigen Krieg in Wittstock informiert. Nach Sichtung der Skelettteile konnte ein Gewaltverbrechen ausgeschlossen werden. „Die Kripo musste nicht alarmiert werden, weil das Wittstocker Museum Detailkarten besitzt, die den Fundort zu einem Schlachtfeld aus dem Dreißigjährigen Krieg zuordnet", erklärt Grothe.
Das Massengrab wurde zunächst gesichert. Erst jetzt sind die Grabungsspezialisten vom Landesamt für Denkmalpflege angerückt. Seit 14 Tagen wird vorsichtig gegraben – gestern wurde der Fund öffentlich gemacht
Zunächst dachten die Experten, dass es sich nur um ein paar alte Skelette handeln würde. Doch in vier Meter Tiefe dann die Sensation: in Vierer-Reihen liegen militärisch exakt quadratisch gestapelt die sterblichen Überreste von Soldaten. „Bis jetzt haben wir 53 männliche Skelette gefunden. Wir vermuten hier bis zu 70 tote Soldaten“, so Grabungsleiterin Grothe.
„Unsere Aufzeichnungen sagen, dass es hier am 5.Oktober um 14 Uhr ein heftiges Gemetzel gegeben hat, was die Schweden für sich entschieden haben“, erklärt Sabine Eickhoff vom Landesamt für Denkmalschutz. Kämpfer seien auf grausame Art und Weise gefallen. Zertrümmerte Knochenteile zeigen die Brutalität der Kämpfe. „Auf schwedischer Seite waren es bis zu 1500 gefallene. Welcher Nationalität die gefundenen Skelette angehören, können wir aber noch nicht sagen“, so Eickhoff. Das müssten nun anthropologische Untersuchungen zeigen.
Eine wichtige Rolle sollen dabei vor allem die Zähne der Toten spielen. Die hatten schon der ersten Hinweis darauf geliefert, dass es sich um ältere Gräber handelt. „Zunächst mussten wir ausschließen, dass es sich um KZ-Häftlinge handelt, die hier 1945 auf dem Todesmarsch umgekommen sind“, so Grothe. Fehlende Plomben hätten den entscheidenden Hinweis auf den Dreißigjährigen Krieg gegeben. Grothe: „Zahnmedizin gab es im 17.Jahrhundert noch nicht.“
Jetzt soll die Konzentration des chemischen Elements Strontium in den Zähnen ermittelt und anhand dieser Daten dann Nationalität und Alter der Gefallenen bestimmt werden. „Die Konzentration von Strontium und andere Ablagerungen geben einen Fingerzeig auf ihre Herkunft“, sagt die Anthropologin Bettina Jungklaus.
Bis aber die Grabungen abgeschlossen sind, wird der Staubsauger von Grabungstechnikerin Corinna Koch noch lange brummen. Gefragt, ob sie die vielen Skelette nicht gruseln würde, sagt sie trocken: „Das ist hier wie zu Hause putzen, nur dass es hier mehr Sand gibt.“
Ergebnisse und Exponate der Grabungen am Scharfenberg sollen später im Landesmuseum Brandenburg/Havel und im Museum des Dreißigjährigen Krieges in Wittstock ausgestellt werden.
Um die Toten selbst, könnte sich die Stadt Wittstock kümmern: „Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Toten bei uns ein ordentliches Begräbnis bekommen“, sagt Wittstocks Bürgermeister Lutz Scheidemann.
Georg-Stefan Russew
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