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Furcht. Die Angst davor, dass als noch immer als gefährlich eingestufte Gewalttäter nach ihrer Haftentlassung wieder rückfällig werden, ist groß. Im brandenburgischen Joachimsthal hatte es einen Proteststurm besorgter Einwohner gegeben, nachdem im Vorjahr in diesem Haus ein als noch immer gefährlich geltender Sexualstraftäter unterkam, der während der Haft die Therapie verweigert hatte.

© dpa

Von Alexander Fröhlich: Sexualstraftäter weiter hochgefährlich

Gutachter empfehlen Sicherungsverwahrung – das Landgericht Potsdam aber betritt juristisches Neuland

Stand:

Potsdam – Geht es nach den Gutachtern, muss der mehrfach wegen Vergewaltigung verurteilte Sexualstraftäter Harald Dieter E. auch nach zehn Jahren Gefängnis weiter hinter Gittern bleiben. Die gesetzlichen Voraussetzungen für nachträgliche Sicherungsverfahren seien „als erfüllt anzusehen“, E. weiterhin als gefährlich einzustufen, sagte der Psychiater Matthias Lammel am Donnerstag vor dem Landgericht Potsdam. „Er trägt ein erhöhtes Risiko in sich, weitere Delikte zu begehen“, vor allem Sexualdelikte, sagte der Forensiker Hans-Ludwig Kröber. Damit bestätigten beide die Ansicht der Potsdamer Staatsanwaltschaft, die die nachträgliche Sicherungsverwahrung für den „hochgefährlichen Rückfalltäter“ beantragt hatte.

Nach Abschluss der Beweisaufnahme und zwei Verhandlungstagen, an denen fünf Zeugen und die beiden Gutachter ausgesagt hatten, verschob das Gericht seine Entscheidung aber auf den 28. Oktober. Die zweite große Strafkammer sieht erhöhten Beratungsbedarf, denn mit diesem Fall betritt sie Neuland. Trotz des eindeutigen Votums der Gutachter ist die Entscheidung alles andere als absehbar. Der 43-Jährige kann sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg vom Dezember 2009 berufen, wonach die rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung gegen die Menschenrechte verstoße.

Zudem ist die nachträgliche Verwahrung erst seit 2004 im Strafgesetzbuch geregelt. Fraglich ist daher, ob dieser Passus für E. überhaupt anwendbar ist, da er bereits im Jahr 2000 vom Landgericht Potsdam wegen erpresserischen Menschenraubs und Vergewaltigung verurteilt worden war. Der Verteidiger, der Potsdamer Strafrechts-Anwalt Bodo Zielonka, setzt auf einen Formfehler: Weder in der Anklage, noch im Prozess vor zehn Jahren sei es je um Sicherungsverwahrung gegangen, ansonsten hätte sein Mandant eine ganz andere Verteidigungsstratege fahren können.

E. hatte im Jahr 2000 eine damals 20-Jährige in Seddin (Potsdam-Mittelmark) entführt und vergewaltigt. Die Strafe hat er inzwischen verbüßt, doch frei kam er bislang nicht. Auf einstweilige Anordnung des Landgerichts sitzt er vorläufig in der Haftanstalt Berlin-Tegel in Sicherungsverwahrung. Aus gutem Grund, wie die Gutachter bestätigten.

Der gebürtige Thüringer habe einen Hang zu Straftaten und sein Handeln sei davon bestimmt, seine eigenen Interessen durchzusetzen, sagte Psychiater Lammel. „Das, was geschehen ist, kann alles wieder geschehen.“ Seit 1989 hat E. nur mit kurzen Unterbrechungen im Gefängnis gesessen – wegen Vergewaltigungen und Diebstählen. Kam der gelernte Chemiefacharbeiter frei, beging er auch schon die nächste Tat und überfiel brutal Frauen. 1989 verging er sich in einer Zugtoilette an einem Mädchen, von 1990 bis 1991 vergewaltigte er mehrmals Frauen, bedrohte sie mit einer Schreckschusspistole oder einem Schraubenzieher, hielt sie über Stunden gefangen und fesselte sie. „Er hat kein Konzept, sich ein Leben in Freiheit in Anlehnung an die sozialen Regeln aufzubauen“, sagte Kröbel. „Voraussetzungen für eine günstige Kriminalprognose sind nicht gegeben“, so Lammel.

Die beiden Gutachter konnten auf umfangreiches Material zurückgreifen, E. selbst wollte nicht mit den Fachleuten sprechen, dafür ist seine Biografie detailliert in den Akten dokumentiert. Lammel und Kröbel zeichneten das Bild eines „Einzelgängers“, der nicht weiß, wie er mit Konflikten umgehen soll, der leicht gekränkt ist, schnell aggressiv wird, stets in Opposition zu allem steht, der sich Hilfsangeboten im Maßregelvollzug, im Gefängnis und nach der Entlassung verweigert, der sich den Abgründen seiner Persönlichkeit nicht stellt. Nur bei den Vergewaltigungen kann er rücksichtslos seine Bedürfnisse durchsetzen und im Moment der Macht über einen anderen Menschen Bestätigung finden. Eine Persönlichkeitsstörung im medizinischen Sinne sahen die Gutachter nicht, sondern eine „dissoziale Persönlichkeit“.

Das bestätigten auch Zeugen aus den Haftanstalten Brandenburg/Havel, Cottbus und Tegel. In Brandenburg/Havel hatte E. in seiner Matratze ein aus einem Bleistift und Rasierklingen selbst gefertigtes Messer versteckt. Justizbedienstete sprachen von einem schwierigen, arroganten und aggressiven Gefangenen ohne Motivation zur Therapie. Auch vor Gericht wollte E. nichts Persönliches berichten. Dafür fanden die Gutachter einiges in den früheren Urteilen: Demnach wuchs der Thüringer als jüngstes von drei Kindern „in emotionaler Distanz“ bei seiner alleinerziehenden Mutter auf, die ihn sexuell missbraucht haben soll. Auch vom Hass auf Frauen und Rachegefühlen war schon früher die Rede.

Als all das am Donnerstag erneut – von anderen – zur Sprache kam, starrte E. regungslos vor sich hin, machte sich zuweilen Notizen – und zog ab und zu abfällig die Augenbrauen hoch.

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