Frankfurt (Oder): Solarstadt sieht keine Sonne mehr
Conergy ist schwer angeschlagen, Odersun pleite, jetzt hat zudem First Solar angekündigt, seine Fabriken in Frankfurt (Oder) Ende Oktober zu schließen. Eigentlich sollte die Solarbranche die Stadt zum Blühen bringen, doch der Traum ist geplatzt
- Matthias Matern
- Alexander Fröhlich
Stand:
Frankfurt (Oder) - Es sah nach dem Beginn einer wirtschaftliche Blütezeit für Frankfurt (Oder) aus, doch nach nur sechs Jahren lautet die bittere Wahrheit: Der Traum von der Solarstadt Frankfurt (Oder) ist geplatzt, übrig bleibt eine brandenburgische Grenzstadt an der Oder mit erheblichen sozialen Problemen, einer Arbeitslosenquote von 14,6 Prozent und wenig mehr als einer überregional bekannten Europa-Universität. Am gestrigen Dienstag hat der US-amerikanische Solarmodule-Hersteller First Solar angekündigt, seine beiden Werke zum 31. Oktober schließen zu wollen.
Betroffen sind etwa 1200 Arbeitsplätze, nach Angaben des brandenburgischen Wirtschaftsministeriums zudem weitere rund 300 Jobs bei Zulieferern. Wenige Stunden nach Bekanntwerden der Unternehmensentscheidung trat am Nachmittag ein sichtlich mitgenommener Martin Wilke vor die Presse. Als ehemaliger Wirtschaftsförderer der Stadt hatte Wilke die Ansiedlungen von First Solar maßgeblich begleitet. „Das ist ein harter Schlag für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für unsere gesamte Stadt und das Land Brandenburg“, sagte der parteilose Bürgermeister, gab sich aber zugleich kämpferisch. „Die Stadt hat in der Vergangenheit bereits andere schwierige Situationen gemeistert und ist gestärkt daraus hervorgegangen. Um neue Chancen zu nutzen, verfügt Frankfurt über hervorragende Infrastruktur, qualifizierte Arbeitskräfte und Forschungspotenzial.“
Brandenburgs Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke) äußerte sich weniger optimistisch: „Nach meiner Einschätzung ist Frankfurt wieder da, wo es vor zehn Jahren gewesen ist.“ Damit habe die Stadt wieder ein erhebliches Strukturproblem. Gemeint ist die 2003 gescheiterte Chipfabrik, deren Pleite das Land und die Stadt Frankfurt zusammen an die 100 Millionen Euro gekostet hat. Und gemeint ist die fehlende Industrie in Frankfurt. Was fehlt ist – Arbeit. Viele zog es deshalb fort, seit 1990 verlor die Stadt rund ein Drittel seiner Einwohner, heute sind es noch 60 000.
Durch den Solarboom keimte nach der Pleite um die Chipfabrik neue Hoffnung. Vor allem durch die neuen Jobs. Tatsächlich aber waren es keineswegs gut bezahlte Stellen, oft genug war es nur Leiharbeit. Und Frankfurt blieb trotz der vielen neuen Arbeitsplätze in den Solarfirmen und trotz des Aufschwungs der vergangenen Jahre arm. Die Stadt gilt als das Neukölln Brandenburgs, quasi als Problemregion und sozialer Brennpunkt. Das zeigt der aktuelle Sozialbericht für Berlin-Brandenburg. In Berlin-Neukölln liegt die Armutsquote bei 22,5 Prozent, in Frankfurt (Oder) bei 22,6 Prozent. Jetzt droht alles noch schlimmer zu werden. Die IG Metall warnte vor einem weiteren massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit „mit allen sozialen Folgen“. Frankfurt (Oder) müsse mit Steuerausfällen in Millionenhöhe rechnen.
2006 wurde die Ansiedlung von First Solar noch landesweit gefeiert. Da sich zur gleichen Zeit auch das derzeit kriselnde kanadische Solarunternehmen Conergy und der mittlerweile insolvente Hoffnungsträger Odersun in Frankfurt niederließen, verlieh sich die Stadt kurzerhand sogar den Titel „Solarstadt“. Rund 2000 Jobs boten die drei Firmen zu Spitzenzeiten. Erst im November 2011 hatte First Solar seine Kapazitäten an der Oder verdoppelt, nach eigenen rund 170 Millionen Euro in seine zweite Fabrik investiert. Doch da war die einstige deutsche Boombranche bereits am kränkeln, der Stern der Solarstadt am Sinken. Wegen der deutlich günstigeren, dabei kaum noch qualitativ hinterherhinkenden Konkurrenz chinesischer Modulehersteller gerieten deutsche Firmen zuletzt immer stärker in Bedrängnis. In einem Gemisch aus hausgemachten Problemen wie Defiziten im Vertrieb und zu geringer Forschungs- und Entwicklungstätigkeit führte dies allein in Brandenburg zu drei Insolvenzen, zuletzt beim ewigen Start-up Odersun. Trotz mehrfacher staatlicher Förderung schaffte es das Unternehmen nicht, sich am Markt zu etablieren, ließ aber trotzdem neben dem Werk „Sun One“ in Frankfurt in Fürstenwalde (Oder-Spree) eine zweite Fabrik errichten. Der zweite große Player neben First Solar in Frankfurt, Conergy, steckt ebenfalls in erheblichen Schwierigkeiten. Vorigen September sahen sich die Kanadier genötigt, 30 Stellen an der Oder zu streichen und Teile der Produktion einzustellen. Auch die Leiharbeiter wurden entlassen. Zwar musste auch First Solar wegen der Marktturbulenzen Anfang März Kurzarbeit beantragen. Dennoch galt das Unternehmen bei Experten als Branchenprimus und einziger konkurrenzfähiger Modulehersteller im Land Brandenburg.
Um Frankfurts neues, altes Strukturproblem will sich jetzt die Landesregierung kümmern. Am heutigen Mittwoch soll es ein Krisentreffen mit Konzernchef Mike Ahearn, Frankfurts Oberbürgermeister Wilke, Christoffers und Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) geben. „Wir werden seitens der Landesregierung alles tun, was in unseren Möglichkeiten steht, um den Oberbürgermeister der Stadt zu unterstützen und den Standort in Gänze zu sichern“, sagte Platzeck. Dazu wurde eine Arbeitsgruppe verschiedener Ministerien unter Christoffers Leitung einberufen.
Jochem Freyer, Chef der Arbeitsagentur in Frankfurt, sagte, jetzt müsse nach „neuen Perspektiven gesucht werden“. „Die Solarbranche war ein bedeutender Bestandteil der zuletzt guten wirtschaftlichen Entwicklung der Region. Im Konzert mit den Schwierigkeiten bei Odersun und Conregy ist der Wegzug von First Solar ein bitterer Rückschlag“, so Freyer. Er habe Angst, dass die Verantwortlichen jetzt nur noch Trübsal blasen könnten. Sein Appell: „Nicht rumjammern, sondern gemeinsam am runden Tisch nach Lösungen suchen.“ Gerade für die Beschäftigten von First Solar sehe er gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt, da sie alle einen Berufsabschluss in einem gewerblich-technischen Beruf hätten. Allerdings könne der Frankfurter Arbeitsmarkt „niemals die Gesamtzahl der Betroffenen verkraften und wegschlucken“. Arbeitgeber, „die immer nach Fachkräften rufen, können jetzt zugreifen“.
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