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Vorsitzende der Enquete-Kommission: Susanne Melior (SPD).

© Manfred Thomas

Streit in der Enquete-Kommission: SPD wusste lange vom Experten-Rückzug

Ob Zufall oder Kalkül – wie es zur Krise der Enquete-Kommission zum Umgang mit dem Erbe der DDR in Brandenburg kam

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Potsdam - Grünen-Fraktionschef Axel Vogel will nicht an einen Zufall glauben. Tatsächlich ist die Abfolge der Geschehnisse vor der nächsten Sitzung der Enquete-Kommission des Landtags am Freitag nächster Woche eigentümlich. Es geht um ein Gutachten, das erhebliche Mängel bei der Stasi-Überprüfung im Landtag und den Landesbehörden feststellt. Und es geht um den Rückzug des von der SPD-Fraktion berufenen Politikwissenschaftlers Wolfgang Merkel.

Die Kommission befasst sich am nächsten Freitag mit dem Gutachten, dass zu dem Ergebnis kommt, in Brandenburg habe es keine systematische Stasi-Überprüfung gegeben. Und nach den vom Landtag aufgestellten Kriterien hätten Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und andere Abgeordnete ihr Mandat niederlegen müssen. Das Gutachten war mit einer Sperrfrist versehen. Dennoch gelangte es vor genau einer Woche in die Medien. SPD-Fraktionschef Ralf Holzschuher nannte das Gutachten eine „politisch motivierte Abrechnung“, das „mit wissenschaftlicher Arbeit“ wenig zu tun habe. Die Opposition warf ihm vor, das Gutachten und die Arbeit der Kommission ohne Not zu diskreditieren. Schließlich folgte am Mittwoch ein Interview mit Wolfgang Merkel, in dem er seinen Rückzug aus der Kommission mit dem geringen Niveau, rückwärtsgewandten Debatten und der zunehmenden Politisierung des Gremiums begründete. Dass der renommierte Demokratieforscher vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) nicht mehr in dem Gremium mitarbeiten will, steht aber schon länger fest.

„Ich habe vor zweieinhalb, drei Wochen in einem Anruf bei Frau Melior meinen Rückzug angekündigt. Wir haben dann auch über möglichen Ersatz geredet“, sagte Merkel. „Dann gab es am Mittwoch einen Anruf von einem Journalisten, der offenbar über mein Gespräch mit Frau Melior informiert war und meine Gründe wissen wollte.“ Das umstrittene Gutachten kannte er da noch gar nicht, als er Melior informierte. Es habe ihn später aber in seinem Entschluss bestätigt, sagte er.

Melior sagte, sie sei von Merkel über dessen Rückzug informiert worden, habe aber gehofft, den Wissenschaftler umstimmen zu können. Sie hätten mehrfach telefoniert. Merkel habe ihr vermittelt, dass er nicht umzustimmen sei. Gewissheit habe ihr Merkels Interview gebracht.

Auch SPD-Fraktionschef Holzschuher wusste frühzeitig vom Rückzug – sogar, als er vergangenes Wochenende seine Attacke auf das Gutachten zur Stasi-Überprüfung anfuhr. Melior sagte, sie habe Merkels Rückzug „nicht als Vorsitzende der Kommission, sondern als SPD-Vertreterin gesehen. Meine Partei hat ihn ja auch benannt und wir müssen jetzt ein neues Mitglied finden.“ Deshalb habe sie nicht die anderen Mitglieder der Kommission informiert, sondern Holzschuher.

Grünen-Fraktionschef Vogel vermutet hinter den Vorgängen ein Kalkül, um „die Kommission zu desavouieren“ und weil es bei der SPD in Sachen Stolpe „Pawlowsche Reflexe“ gibt. Für den Vize-Vorsitzenden Dieter Dombrowski (CDU) ist Meliors Vorgehen zweifelhaft. Sie sei als Vorsitzende zur Unparteilichkeit verpflichtet und hätte die Mitglieder des Gremiums informieren müssen. Nun aber befindet es sich – so die Diagnose von Linke-Fraktionschefin Kerstin Kaiser – in einer „krisenhaften Situation“. A. Fröhlich/J. Legner

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