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Abtransport. Erst nach 1 Uhr morgens konnten die Einsatzkräfte der Polizei den Blindgänger in den Lkw laden.

© Paul Zinken/dpa

Brandenburg: Sperrzone Friedenau

In der Nacht zu Dienstag wurde in Berlin eine Weltkriegsbombe entschärft – 10 000 Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen

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Berlin - Das Gute ist: Die Fliegerbombe in Berlin-Schöneberg wurde sicher entschärft, wie Tausende seit dem Zweiten Weltkrieg auch. Ganz und gar nicht gut ist: Es ist kein Ende in Sicht. Seit mindestens 20 Jahren heißt es beim Senat, dass noch etwa 3000 Blindgänger im Boden liegen. Und niemand weiß, wo genau. Fast alle werden zufällig gefunden, so wie am Montagmittag auch.

Bekanntlich soll der ehemalige Güterbahnhof bebaut werden mit knapp 1000 Wohnungen, „Friedenauer Höhe“ soll das neue Quartier heißen. Und hoch lag auch der Blindgänger, was die Sache am Montagabend noch komplizierter machte. Eine Bombe in einer Senke benötigt einen kleineren Sperrkreis zur Entschärfung als eine auf einem Hügel. Das 250-Kilo-Exemplar deutscher Produktion mit russischem Zünder lag oben, wie auf einem Präsentierteller. 10 000 Menschen mussten im Umkreis von 500 Metern ihre Wohnungen verlassen. Aus Berliner Sicht ist das eine recht große Evakuierung, in Frankfurt/Main mussten vor wenigen Wochen 70 000 Menschen raus aus ihren Häusern. Je mehr Menschen betroffen sind, desto länger benötigen Polizisten, Feuerwehrleute und Helfer vom DRK für die Evakuierung. Zwischen Fund und Entschärfung lagen deshalb am Montag mehr als zwölf Stunden.

Der „Feuerwerker“ der Polizei hatte entschieden, den Fund sofort unschädlich zu machen und nicht erst am ruhigen Feiertag. Diese Entscheidung hat quasi Gesetzeskraft, kein Polizeipräsident, kein Innensenator würde ihr widersprechen – und sind die Auswirkungen für die Bevölkerung noch so groß.

Es geht auch anders. 2014 zum Beispiel reichte in Steglitz für eine doppelt so schwere Bombe ein 250-Meter-Sperrkreis, da sie in einer Baugrube lag. Noch bequemer war, dass keine unmittelbare Gefahr von ihr ausging, so konnte sie ganz in Ruhe nach den Pfingstfeiertagen entschärft werden.

Dass jeder Blindgänger anders ist, zeigt ein anderes Beispiel: 2008 entschieden die Feuerwerker in Wilmersdorf, eine zunächst als nicht transportabel eingestufte 500-Kilo-Bombe wie ein rohes Ei über die Mecklenburgische Straße in einen Park zu bringen und dort in einer tiefen Grube zu entschärfen. Die Böschungen hätten für den schlimmsten Fall der Fälle – und von dem wird immer ausgegangen – die Splitterwirkung gedämpft. Statt 12 000 Menschen waren nur 5000 betroffen.

Auch diese Entschärfung ging gut. Tote hat es in Berlin in den vergangenen Jahrzehnten nur einmal gegeben: 1994 trafen Bauarbeiter beim Rammen einer Spundwand in der Pettenkoferstraße in Friedrichshain den Zünder einer Fünf-Zentner-Bombe. Drei Arbeiter wurden getötet, 14 Menschen teils schwer verletzt.

Im Jahr 2003 entging Berlin knapp einer Katstrophe: Vor dem Bahnhof Friedrichstraße hatten Arbeiter die Reste einer Fliegerbombe zehn Meter weiter weggeräumt und sich auch nicht um das weiße Pulver (TNT) gekümmert, das aus dem vermeintlichen Rohr rieselte. Erst 26 Stunden später kam ein Vorarbeiter auf die Idee, die Polizei zu holen.

500 000 Tonnen Bomben haben die Kriegsgegner im Zweiten Weltkrieg über Berlin abgeworfen, 25 000 bis 75 000 Tonnen explodierten nicht und blieben als Blindgänger liegen. Fast alle Blindgänger werden bei Bauarbeiten gefunden, nur wenige bei einer gezielten Suche. Seit 2003 werden die von den Alliierten angefertigten Luftbilder durch eine spezielle Software ausgewertet. Laut Umweltverwaltung können die Bilder so „besser interpretiert“ werden. Diese Arbeit erledigt eine Privatfirma.  Vom Computer wurden zum Beispiel die „Verdachtspunkte“ 710, 711 und 712 ermittelt. Sie liegen entlang der Vicki-Baum-Straße an der Rummelsburger Bucht. Ob und wann diese drei Verdachtspunkte kontrolliert werden, ist offen. Wie die Umweltverwaltung mitteilte, ist „grundsätzlich jeder Eigentümer selbst verantwortlich“ – an der Vicki-Baum- Straße also der Bezirk. Der bekam die „dringende Empfehlung“, vor Tiefbauarbeiten besser die drei Verdachtspunkte zu kontrollieren. J. Hasselmann

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