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Brandenburg: Sträßlemacher aus Prenzlauer Berg

Der Schwabenstreit geht in eine neue Runde – und damit der Kulturkampf um den einstigen Szenebezirk in Berlin

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Berlin - Spätzle wurden auf das Kollwitzdenkmal geworfen, ein Maultauschenmäuerlein vor der Kulturbrauerei errichtet. Nun geht der Schwaben-Streit in Prenzlauer Berg, ausgelöst durch Äußerungen des SPD-Politikers Wolfgang Thierse, in eine neue Runde. Drei Künstlern, weder Schwaben noch gebürtige Berliner, aber wohnhaft in Prenzlauer Berg, reicht es. Sie haben jetzt die Bewegung „Neuschwabenberg“ gegründet – nicht zu verwechseln mit den Kollegen der Spaßguerilla „Free Schwabylon“, die mit den bisherigen Aktionen von sich reden gemacht hatte. „Wir sind geschockt, wie aggressiv dieser Kulturkampf geworden ist“, sagt einer der Neuschwabenberger.

Dabei dürfte die erste öffentliche Aktion der drei Künstler auch nicht notwendigerweise zur Beruhigung der Lage beitragen: In der Nacht von Donnerstag zu Freitag haben die Drei, die anonym bleiben möchten, Straßennamen überklebt und bei der Gelegenheit auch gleich ein paar Beweisfotos geschossen. Aus der Kollwitzstraße ist das „Kollwitzsträßle“ geworden, aus der Wörther Straße ein „Gässle“. Klingt irgendwie, als unterstützten die Drei die Schwaben. „Wir sind weder für noch gegen irgendeine Seite“, sagt allerdings einer von ihnen. „Wir wollen wieder Ironie in die Debatte bringen und darauf aufmerksam machen, dass die Schwaben auch etwas Niedliches an sich haben. Sträßle klingt doch besser als Straße.“ Das dürfte zwar so mancher, der die Berliner Schnauze liebt, anders sehen. Aber das muss ja kein Grund sein, als nächstes mit Pfannkuchen zu werfen.

Wer weiß, die Lage ist verfahren. Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), der am Kollwitzplatz lebt, hatte bekanntermaßen Ende Dezember von den Schwaben gefordert, sich müssten sich besser an das Leben in Berlin anpassen. Es sei nicht einzusehen, dass man in Berlin beim Bäcker schon Wecken statt Schrippen und Pflaumendatschi statt Pflaumenkuchen sagen müsse. Seither tobt der Kulturkampf auf dem Prenzlauer Berg. Die Rache kam prompt.

Unbekannte bewarfen das Kollwitz-Denkmal mit der schwäbischen Spezialität, den Spätzle. Auf der Internetseite „Free Schwabylon“ bekannten sich angebliche Schwaben zu der Aktion. Augenzwinkernd fordern sie ein Ende ihrer Diskriminierung: „Lange genug hat die schwäbische Bevölkerung Berlins unter Fremdherrschaft und Diskriminierung gelebt. Lange genug mussten sie ihre Weckle als Schrippen kaufen und ihre Fleischküchle als Buletten.“ Ihre Klage gipfelt in der Forderung nach einem autonomen Bezirk Schwabylon am Kollwitz-Platz und der Ausweisung von Thierse.

Alles nur Spaß also? Nicht für die Freunde des Käthe-Kollwitz-Museums. Für sie ist der Spätzle-Anschlag eine geschmackliche Entgleisung: „Die lokalen Dissonanzen zwischen Schwaben und alteingesessenen Berlinern ist eine kleinkarierte Haustürfehde“, heißt es in einem Schreiben des Vereins. Und Anwohner setzten dem Kollwitz-Denkmal eine goldene Krone auf und Blumen dazu. „Die Rosen sollen ein Zeichen sein, dass hier nicht nur Spätzleesser und -werfer wohnen, sondern auch Anwohner, die wissen, wofür Käthe Kollwitz steht“, stand auf einer Karte. Die Grafikerin und Bildhauerin Kollwitz war von den Nationalsozialisten verfolgt worden.

Bei dem ganzen Streit geht es auch um etwas anderes. Bianca, 25-jährige Berlinerin, die am Kollwitz-Platz in einer Kneipe kellnert, sagt: „Im Grunde geht es um eine soziale Frage, die Erhöhung der Mieten und die Veränderungen, die im Kiez dadurch stattfinden, die sich im Schwabenhass ausdrückt.“ Anwohnerin Kathrin, 43 Jahre alt, sagt, es gehe um Zuzug und Vertreibung. „Ob es jetzt um Italiener, Schwaben oder Franzosen geht: Das Problem ist, dass durch reiche Investoren die Mieten steigen und der Kiez stirbt. “

Dokumentarfilm-Regisseur Peter Voigt ist vor 60 Jahren aus Dessau nach Berlin gezogen und wohnt seitdem in der Nachbarschaft. „Die Gegend hier ist zu einem Nachtjackenviertel geworden“, sagt der 80-Jährige. Eine triste Gegend also, wo nachts die Bürgersteige hochgeklappt werden. Tatsächlich ist im Prenzlauer Berg nichts mehr los. Klubs und Lokale mussten schließen, auch weil es Klagen gab wegen Ruhestörung. „Es geht nicht um die Schwaben, sondern um das Klima, das sich verändert hat“, sagt Voigt. Denn nach der Wende war der Prenzlauer Berg gerade wegen seiner vielen wilden Bars und Klubs für junge Menschen ein Magnet. Jetzt, wo sie mit Kindern in ihren Eigentumswohnungen sitzen, wollen viele ihre Ruhe haben. Dazu passt auch das Sträßle.axf/npa/dpa

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