Brandenburg: Stress auf dem Lande
In Brandenburgs ländlichen Regionen herrscht ein Mangel an Hausärzten. 168 Stellen sind unbesetzt. Eine Landärztin erzählt
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In Brandenburgs ländlichen Regionen herrscht ein Mangel an Hausärzten. 168 Stellen sind unbesetzt. Eine Landärztin erzählt Von Franziska Hofer Tantow - Die Landärztin Karola Bahr zieht den Reißverschluss ihres Anoraks hoch. Sie zurrt den Schal fester und rückt näher ans Feuer. Mit ihr sitzen Einwohner der kleinen Uckermark-Gemeinde Tantow vor der Grundschule des Ortes. Nicht zum abendlichen Schwatz haben sie sich versammelt, sondern zum Hungerstreik. Mit heißem Tee und einem Zelt als Schutz vor der winterlichen Kälte. Der Schule droht die Schließung. Dagegen kämpfen sie an. Bahr mischt in der Kommunalpolitik mit, weil sie – wie sie sagt – nur dann für ihre Patienten wirklich etwas erreichen könne. Genau aus diesem Grund kandidierte sie im vergangenen Jahr für die Allianz freier Wähler, um in den brandenburgischen Landtag einzuziehen. Dass die Stimmen für die Ärztin, die aus dem Erzgebirgischen in die Uckermark zog, bei weitem nicht ausreichten, entmutigte die 41- Jährige nicht. „Man muss am Ball bleiben, wenn man etwas verändern will“, beharrt sie. Dabei hat sie schon im eigentlichen Job mehr als genug zu tun. Immerhin kommen an manchen Tagen über 50 Patienten in ihre Praxis, in Spitzenzeiten sogar um die 100. Und wenn sich die Tür hinter dem letzten Patienten schließt, kann Bahr den weißen Kittel noch längst nicht ausziehen. In einer „zweiten Schicht“ geht es kilometerweit über die Dörfer, denn Patienten erwarten Bahrs Hausbesuch. „Trotz aller Belastung ist es nicht die Arbeit am Patienten, die uns Niedergelassene in so unterversorgten Regionen wie der Uckermark auspowert. Wirklich schlimm ist die schier endlose Bürokratie“, klagt die Medizinerin. „Wenn man noch nachts am Schreibtisch sitzt, bis der Stift aus der Hand fällt, bleibt für die Familie kaum noch Kraft, von der eigenen Erholung gar nicht zu reden“, berichtet die Mutter dreier Kinder. Derzeit sind auf Brandenburgs flachem Land 168 Hausarztstellen unbesetzt. Allein in der Uckermark gibt es 22 freie Stellen; im Altkreis Angermünde fehlen neun Mediziner. So ist ein Arzt im Schnitt für 2420 Einwohner zuständig - weit mehr, als die gesetzlich vorgeschriebenen 1480 Menschen. Diese Situation dürfte sich noch verschärfen, denn bereits heute sei jeder dritte Hausarzt älter als 60 Jahre, sagt der Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Ralf Herre. „Für viele Praxen ist kein Nachfolger in Sicht, schließlich kann man niemanden zwingen, sich selbstständig zu machen. Außerdem passt oft die Qualifizierung der Ärzte, die sich nach einer Stelle umsehen, nicht“, bestätigt Walter Willneff, Bereichsleiter in der Eberswalder Agentur für Arbeit. Karola Bahrs Vorschlag, in den Dörfern Gemeindeschwestern einzusetzen, hält die KV für „durchaus bedenkenswert“. Fraglich scheint Herre allerdings, wer das Geld dafür aufbringen soll - ein Problem, das auch Bahr sieht. „Doch eine kompetente, gut ausgebildete Fachkrankenschwester, die als Gemeindeschwester agieren könnte, würde uns Ärzten die Arbeit erheblich erleichtern. Was einmal gut war, muss man doch nicht neu erfinden. Man muss es nur wollen, dann lässt es sich auch wieder ins Leben rufen.“
Franziska Hofer
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