Absturz eines britischen Bombers: Tod kurz vor dem Ziel
1944 stürtze bei Oranienburg ein britischer Bomber ab. Der Besatzung wird heute mit einer Tafel gedacht – es ist bereits die zweite
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Oranienburg - Als am frühen Abend des 28. Januar 1944 Hunderte Kinobesucher in Berlin begeistert die Uraufführung der „Feuerzangenbohle“ mit Heinz Rühmann feierten, starteten auf der britischen Insel kleine Bomberverbände mit unterschiedlichen Zielen, insgesamt 677 Flugzeuge. Mit Stör- und Scheinangriffen sollte in der deutschen Luftverteidigung Verwirrung gestiftet werden. Um 0:49 Uhr hob auch die Lancaster MK III der 467. Squadron ab. Flight Lieutenant Ivan Durston, ein 32-jähriger Australier aus Windsor in Queensland, steuerte als Pilot den viermotorigen Bomber Richtung Berlin. Mit an Bord waren die Australier Robert Ludlow, Phillip Gill und Jack Sutherland, der vor Kurzem Vater geworden war, und die Briten Francis Aver, Harold Fry und Sidney Griffiths. Gemeinsam hatten sie schon 24 Einsätze hinter sich gebracht. Diesen Einsatz und noch fünf weitere, dann wäre der Krieg für sie vorbei gewesen. Doch es sollte anders kommen. Kurz vor dem Ziel werden sie abgeschossen. Die Besatzung hat keine Chance, beim Aufschlag in einem Waldgebiet nahe Oranienburg (Oberhavel) explodiert die tödliche Bombenlast.
Am heutigen Mittwoch, 70 Jahre danach, soll an der Absturzstelle mit einer Gedenktafel an das Schicksal der Besatzung erinnert werden. An der Einweihung der beschrifteten Metallplatte nehmen unter anderem der australische Militärattaché, Oberst Warrick Paddon, und der Bürgermeister der Stadt Oranienburg, Hans-Joachim Laesicke (SPD), teil. Allerdings ist es bereits der zweite Anlauf für ein dauerhaftes Gedenken an die sieben gefallenen Allierten. Den ersten haben vermutlich Metalldiebe vereitelt: Eine erste bronzene Gedenktafel, die im Sommer 2003 im Beisein zahlreicher Angehöriger der Besatzung sowie mehrerer militärischer Vertreter Großbritanniens und Australiens vor Ort angebracht worden war, wurde im vergangenen Spätsommer aus der Verankerung gerissen und geklaut. Von den Tätern fehlt jede Spur. „Der Diebstahl wurde angezeigt, aber die Ermittlungen wurden wie so oft bei Metalldieben ohne Ergebnis wieder eingestellt“, berichtet Oranienburgs Stadtsprecher Björn Lüttmann.
Für die neue Tafel haben die Bürger Oranienburgs gespendet. Aufgerufen dazu hatte die Arbeitsgemeinschaft Fliegerschicksale, die sich ehrenamtlich um die Aufarbeitung der Geschichte rund um die Bombardements der Stadt im Zweiten Weltkrieg bemüht. Wie kaum eine andere Region Deutschlands ist Brandenburg in den letzten Kriegstagen zum Schlachtfeld geworden. Zudem befanden sich wie im Fall Oranienburg in Brandenburg wichtige Rüstungsbetriebe. Neben Tausenden Bomben mit konventionellen Aufschlagzündern gingen insgesamt rund 10 500 Großbomben schwerpunktmäßig auf die Auer-Werke, wo die Nazis heimlich Uran anreichern ließen, den Bahnhof, die Heinkel-Flugzeugwerke in Annahof, diverse SS-Depots und den Flughafen nieder. Experten gehen davon aus, dass nach wie vor wenigstens 300 Blindgänger im Stadtgebiet verborgen sind. Auch die Schicksale derer in Erinnerung zu behalten, die damals die zerstörerische Fracht nach Deutschland flogen, hält Stadtprecher Lüttmannn für äußerst wichtig. „Das ist ein weiteres wichtiges Mosaiksteinchen in der Vergangenheitsbewältigung der Stadt. Man sieht dadurch, dass nicht nur Oranienburger Opfer der Bombardierungen geworden sind, sondern dass auch auf der anderen Seite Opfer zu verzeichnen waren, die dadurch ein Gesicht bekommen.“
Einen kaum vorstellbaren Wert hat das Gedenken an Ort und Stelle für die Nachfahren der Piloten. Lange wussten sie nichts über den Verbleib der Lancaster-Besatzung. Ein Tag nach dem Absturz war die Mannschaft als vermisst gemeldet worden. Auch kurz nach dem Krieg konnten die englischen Suchtrupps den Verbleib der Maschine und der Besatzung nicht klären. Die Mutter von Herold Fry erhielt auf die Nachforschungen nach ihrem Sohn am 5. Dezember 1945 vom Suchdienst der Royal Air Force eine Nachricht, in der ihr mitgeteilt wird, dass das Flugzeug ihres Sohnes wahrscheinlich in der russischen Zone Deutschlands abgestürzt ist. Die Offiziere des Suchdienstes konnten sich in Westeuropa zwar frei bewegen, aber in der russischen Zone war das nicht möglich. Der Kalte Krieg war bereits in vollem Gange. So reihte sich die Besatzung der Lancaster ED 867 in das Heer der Vermissten aus dem Zweiten Weltkrieg ein. Noch heute werden über 20 000 Besatzungsmitglieder der Royal Air Force aus dem 2. Weltkrieg vermisst.
Entdeckt wurde die Absturzstelle der Lancaster in den 70er-Jahren bei umfangreichen Geländerprofilierungen am Rande der Gemeinde Lehnitz, wo ein Schießplatz entstehen sollte. Festgehalten wurde dabei auch die Absturzstelle eines Flugzeuges, das sich tief in die Erde gebohrt hatte. Nach und nach wurden durch Umpflügen des Geländes einzelne Wrackteile an die Oberfläche befördert. Im Jahre 1997 wurden diese Wrackteile erstmals zielgerichtet untersucht. In jahrelanger Kleinarbeit konnte das Flugzeug und letztlich auch die Besatzung durch die Arbeitsgemeinschaft Fliegerschicksale identifiziert werden, es war die vermisste ED 867. Am 15. Juli 2003 konnten die sterblichen Überreste, die bei der Untersuchung der Absturzstelle geborgen wurden, unter Teilnahme der Angehörigen in Berlin beigesetzt werden. Gekommen waren damals unter anderem die 86-jährige Schwester des Piloten Betty James sowie die Frau und der Sohn von Jack Sutherland, der seinen Vater nie kennengelernt hatte. Medien in Großbritannien und Australien hatten die Angehörigen aufgerufen, sich zu melden.
Für ihr Engagement ist die Arbeitsgemeinschaft bereits von der Stadt Oranienburg ausgzeichnet worden. Im Fall der abgestürzten Lancaster ist die Chance dieses Mal auch deutlich größer, dass die Arbeit nicht wieder kaputt gemacht wird: Zumindest der Materialwert der neuen Gedenktafel ist vergleichsweise gering – sie ist aus Aluminium.
HINTERGRUND
Noch heute sind die Folgen der schweren Bombardements auf Oranienburg allgegenwärtig. Immer wieder stoßen Bauarbeiter im Stadtgebiet auf nicht gezündete Fliegerbomben, meist US-amerikanischer Bauart. Zudem wird gezielt nach solchen Blindgängern gesucht. Insgesamt wurden seit der Wende in Oranienburg 176 Bomben unschädlich gemacht. Erst Mitte vergangenen November wurde allerdings bei einer gezielten Explosion einer amerikanischen 500-Kilogramm-Bombe versehentlich ein Bungalow mit weggesprengt.
Auch Potsdam hat schwer an der Last der Bombardements zu tragen. Seit 1991 wurden dort bislang 148 Blindgänger entschärft. Allein in der sogenannten „Nacht von Potsdam“, vom 14. auf den 15. April 1945, gingen 1700 Tonnen Bomben auf die Stadt nieder. (mat)
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