Brandenburg: Tödlicher Wahnsinn
An der Berliner Tauentzienstraße haben zwei Raser einen unbeteiligten Autofahrer totgefahren
- Cay Dobberke
- Klaus Kurpjuweit
- Ronja Ringelstein
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Berlin - Nach dem Tod eines unbeteiligten Autofahrers durch ein illegales Autorennen auf der Tauentzienstraße beginnt nun die politische Diskussion über die Verkehrssicherheit dort und auf dem angrenzenden Kurfürstendamm. Gegen die häufige Raserei auf dem Boulevard „helfen nur Tempokontrollen mit drakonischen Strafen“, sagte der Charlottenburg-Wilmersdorfer Stadtentwicklungsstadtrat Marc Schulte (SPD) am Montag auf Nachfrage. „Es ist richtig, dass man über stationäre Blitzanlagen nachdenken muss.“ Mit einer Verdrängung der Raser in andere Straßen rechnet Schulte nicht, den Fahrern gehe es doch „um die Kulisse mit der Gedächtniskirche“.
Beim Unfall in der Nacht zu Montag war ein 69-jähriger Schöneberger ums Leben gekommen, der gegen 0.50 Uhr mit seinem Jeep-Geländewagen die Nürnberger Straße in Richtung Zoo entlangfuhr. Als er bei für ihn grüner Ampel die Kreuzung an der Tauentzienstraße überquerte, rasten dort ein weißer Audi und ein weißer Mercedes in Richtung Passauer Straße heran. Die Polizei spricht von „deutlich überhöhter Geschwindigkeit“. Augenzeugen schätzten das Tempo auf mehr als 100 Stundenkilometer und sagten aus, die zwei jungen Fahrer hätten mehrere rote Ampeln missachtet. Keine Bestätigung gab es zunächst für das Gerücht, ein Zeuge habe später auf der stehen gebliebenen Tachonadel eines der Unfallwagen sogar 200 Stundenkilometer gesehen.
Der von einem 26-Jährigen gesteuerte Audi krachte offenbar ungebremst in die Fahrerseite des Jeeps, der etwa 80 Meter weit geschleudert wurde und umstürzte. Das 69-jährige Opfer starb noch am Unfallort. Inwieweit auch der Mercedes mit dem Jeep kollidierte, wurde am Montag noch ermittelt. Zeugen wollen beobachtet haben, dass dem 24-jährigen Mercedes-Fahrer ein Ausweichmanöver gelungen sei. Sein Auto, in dem auch eine 22-jährige Beifahrerin saß, landete zwischen den Hochbeeten auf dem Mittelstreifen der Tauentzienstraße. Beide Unfallverursacher und die Beifahrerin wurden schwer verletzt in ein Krankenhaus gebracht, sind nach Kenntnis der Polizei aber nicht in Lebensgefahr. Die Tatsache, dass niemand aus den Autos geschleudert wurde, lässt darauf schließen, dass alle Personen angeschnallt waren.
Von der Nürnberger Straße bis zum Wittenbergplatz liegt die Tauentzienstraße in Tempelhof-Schöneberg. Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) sagte, ihr sei nicht „nicht bekannt, dass Autorennen dort nachts die Regel sind“. Der Unfall sei schrecklich und das Verhalten der Fahrer unentschuldbar, doch handele es sich vielleicht nur um einen Einzelfall. Bevor man über Maßnahmen nachdenke, „muss die Polizei eine Einschätzung geben“. Anders als Schulte hält Schöttler außerdem einen „Verlagerungseffekt“ für möglich: „Raser werden andere Straßen finden.“
Aus der Senatsverkehrsverwaltung hieß es, allein die Polizei entscheide über die Standorte stationärer Blitzer, von denen einige auch Rot-Sünder an Ampeln blitzen. Ein Polizeisprecher sagte dazu: „Wir haben im Verkehrsunfall-Lagebild auch die Tauentzienstraße geprüft, Raserei ist dort aber nicht die Haupt-Unfallursache.“ Deshalb plane man keine fest installierte Blitzanlage. Statt Autorennen beobachte man auf dem Boulevard vor allem „Profilierungsfahrten“, mit denen Besitzer teurer Autos angeben wollen. Dabei werde oft lautstark beschleunigt, meist aber nur „über kurze Strecken“.
Dies deckt sich mit Beobachtungen von Händlern an der Tauentzienstraße. Lärmende Luxusautos erlebe man jeden Tag, sagten der Gastronom Christian Ridderskamp vom „Schlemmer Pylon“ an der Ecke Marburger Straße und ein Verkäufer im Kiosk an der Ecke Rankestraße. Was sich nachts nach Ladenschluss abspielt, wissen beide aber nicht.
Die Raser seien „polizeibekannt“, allerdings nicht wegen Verkehrsdelikten, heißt es. Im vorigen Jahr war die Polizei mehrmals gegen Fahrer besonders lauter und PS-starker Autos auf dem Ku’damm und der Tauentzienstraße vorgegangen. Insgesamt wurden 13 Wagen wegen illegaler Umbauten, vor allem an den Auspuffanlagen, sichergestellt. Nach Sachverständigengutachten verlor ein Fahrzeug die Betriebserlaubnis; die Halter der übrigen Autos wurden verpflichtet, die Tuningmaßnahmen rückgängig zu machen.
Einer der Fahrer büßte auch seinen Führerschein ein. Der 21-Jährige war oft über die Busspur des Ku’damms gerast, hatte sich aggressiv im Verkehr verhalten und bei Kontrollen mit Polizisten gestritten. Neben einem Lamborghini fuhr er einen weißen AMG-Mercedes, der einem der Unfallautos ähnelte. Mittlerweile weiß die Polizei jedoch, dass es sich nicht um denselben Wagen handelt.
Fahrer von Rennen auf öffentlichen Straßen nennen sich gern „Streetracer“. Paragraf 29 der Straßenverkehrsordnung (StVO) verbietet solche Rennen als Ordnungswidrigkeit. Teilnehmer müssen mit 400 Euro Bußgeld, einem Monat Fahrverbot und zwei Punkten in der Flensburger Verkehrssünderkartei rechnen.
Wenn es zu Schäden kommt, müssen Richter außerdem das Strafgesetzbuch (StGB) heranziehen – je nach Gefährdungslage und Schadenseintritt. Im Fall in der City West kommen die fahrlässige Tötung und die Gefährdung des Straßenverkehrs in Betracht. Für eine fahrlässige Tötung gibt es einen Strafrahmen von einer Geldstrafe bis zu fünf Jahren Haft. Cay Dobberke, Klaus Kurpjuweit und Ronja Ringelstein
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