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Brandenburg: Tödliches Unglück im Schneewirbel

Übung der Bundespolizei gerät außer Kontrolle. Zwei Hubschrauber kollidieren. Trümmer fliegen mehr als 50 Meter weit

Stand:

Es soll eine Übung der Polizei sein, und bis jetzt läuft alles nach Drehbuch. Auf Gleis 5 des Berliner Bahnhofs Olympiastadion fährt eine S-Bahn ein, besetzt mit Polizisten, die sich als Hooligans verkleidet haben. Auf einem der Bahnsteige qualmt eine Rauchbombe. Berlin spielt hier gegen Braunschweig, die Fans werden sich gleich prügeln. Auch das sieht das Drehbuch vor; 400 Polizisten sind an diesem Vormittag im Einsatz.

Oben auf dem verschneiten Vorplatz des S-Bahnhofs stehen einige Spitzenbeamte der Bundes- und Berliner Polizei in einem weißen Zelt und wärmen sich an einer heißen Tasse Kaffee. Gleich soll der entscheidende Teil der Übung beginnen: Mit Helikoptern wird eine Spezialeinheit eingeflogen, deren Aufgabe die „schnelle beweissichere Festnahme“ ist, wie es im Polizeijargon heißt.

Und dann ist in der Ferne ein dumpfer Knall zu hören. Es ist 10.30 Uhr.

Plötzlich ertönt im weißen Zelt eine plärrende Stimme aus einem Funkgerät: „... mehrere Schwerverletzte ... Hubschrauber “ Und noch immer ist nicht allen klar, dass jetzt nichts mehr nach Drehbuch geht.

Die ersten Polizisten rennen vom Bahnhof quer über den Coubertinplatz zum Stadion. Die Nachricht macht jetzt ganz schnell die Runde: Zwei Hubschrauber sind auf dem Maifeld verunglückt. Darin sitzen jene Kollegen, die eigentlich gleich hier auf dem S-Bahnhof hätten eintreffen sollen. Direkt am Stadion, knapp 500 Meter entfernt, bricht in den ersten Sekunden nach dem Unglück Chaos aus. Hier dröhnen die Rotoren von drei Hubschraubern, 50 Mann sind insgesamt in der Luft gewesen, der Krach ist ohrenbetäubend. Die wenigen Fotografen, die die Landung aufnehmen wollen, sehen nichts. Eine dichte weiße Schneewand steht über dem Maifeld. Eben flogen hier noch Teile der Rotorblätter der zerstörten Hubschrauber durch die Luft, mehr als 50 Meter weit, selbst im Olympiastadion sind Scheiben zu Bruch gegangen. Erst als sich die Schneewand legt, wird das Ausmaß des Unglücks sichtbar. Ein großer grüner Hubschrauber liegt umgekippt auf der Seite, dicht daneben ein zweiter. Auch er ist zerstört. Eine Frau liegt im Schnee, eine Reporterin, sie wurde getroffen. Sie hat Glück im Unglück, ist nur leicht verletzt.

Auf dem Maifeld, im tiefen Schnee, beginnt die Rettungsmaßnahme. Polizisten rennen zu den Hubschraubern, öffnen Klappen an der umgekippten „Super-Puma“. Die Bereitschaftspolizisten mit ihrer schweren Ausrüstung und Uniform klettern schwerfällig wie Astronauten aus der Maschine. Verletzte werden auf den Steinplatten des Stadions notversorgt. Da zur Bereitschaftspolizei immer Sanitäter gehören, sind Helfer schnell an der Unfallstelle. Die Helfer bringen die ersten beiden Schwerverletzten sofort in Kliniken, fünf weitere werden von der Feuerwehr in Krankenhäuser gebracht.  Draußen hat die Polizei längst alles abgesperrt; die Feuerwehr rückt mit einem großen Spezialkran und 60 Einsatzkräften an.

20 Zentimeter hoch ist die Schneedecke auf dem Maifeld. Die Rotorblätter pusten bei der Landung eine weiße Wolke in die Luft. Für den ersten Hubschrauber ist das kein Problem, die Landefläche vor dem Stadion ist abgesperrt, die Maschine wird sogar eingewinkt durch einen Polizisten. Es ist ja eigentlich doch nur eine Übung, bei der alles vorbereitet war. Doch die beiden direkt dahinter anfliegenden Maschinen tauchen in die weiße Wand ein. Die zweite findet ihren Platz, die dritte will ebenfalls landen – und setzt direkt auf dem anderen Helikopter auf und kippt dann zur Seite. „Der letzte Pilot hätte warten müssen“, sagen die Augenzeugen hier, während sich Notfallseelsorger der traumatisierten Verletzten annehmen. Innensenator Frank Henkel (CDU) eilt zum Stadion, auch Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) – die Bundespolizei ist ihm unterstellt – erscheint, er spricht von einem „schrecklichen Unglück“.

Viele Beteiligte wissen am Nachmittag nicht, dass der getötete Pilot noch immer nicht geborgen wurde. Bei der Feuerwehr ist zu hören, dass die zerstörte Maschine erst von den Experten freigegeben werden muss. Die sind nun in Westend eingetroffen. Die ermittelnden Behörden, neben der Berliner Staatsanwaltschaft auch die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU), halten sich mit Aussagen aber zurück. Die BFU legt in der Regel erst nach vielen Monaten einen Bericht vor.

Beide Hubschrauber sind allwetter- und nachtflugtauglich. Das schlechte Wetter am Donnerstag sei keine Hindernisgröße für den Einsatz der Maschinen bei der Übung gewesen, sagen Experten. „Dass Transportflüge auch bei schlechtem Wetter stattfinden müssen, ist selbstredend.“ Das hatte der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern noch im Sommer gesagt, als die Maschinen in Betrieb genommen wurden.

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