Brandenburg: Tötungsabsicht bestritten
Prozess nach Familiendrama: Hintergrund der Tat war gescheiterte Beziehung zur Schwester
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Neuruppin - Nach dem Familiendrama in Wittenberge in Brandenburg mit einer Toten und einem Schwerverletzten hat der Angeklagte zum Prozessauftakt eine Tötungsabsicht bestritten. Er habe „über die Köpfe hinweg“ schießen wollen, sagte der 57-Jährige am Donnerstag vor dem Neuruppiner Landgericht. Der Angeklagte aus Vielbaum in Sachsen-Anhalt muss sich wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung, fahrlässiger Tötung, Verstoßes gegen das Waffengesetz und Geiselnahme vor Gericht verantworten.
Ihm wird vorgeworfen, am 15. Mai bei einer Jugendweihefeier auf einem Zeltplatz im Wittenberger Ortsteil Hinzdorf in Tötungsabsicht auf seinen Bruder geschossen zu haben. Die Kugel durchschlug zuerst den Hals des Mannes, der schwer verletzt überlebte, und traf dann eine 67-jährige Frau tödlich in den Oberkörper. Nach einer Verfolgungsjagd wurde er in der Nähe von Seehausen in Sachsen-Anhalt festgenommen. Hintergrund der Tat ist offenbar die gescheiterte langjährige Beziehung des Angeklagten mit seiner 17 Jahre jüngeren Schwester, die er über Jahre mit Drohungen und Gewalt an sich gebunden hatte.
Der Angeklagte sagte vor Gericht aus, er sei in Suizidabsicht zu der Familienfeier gefahren. Er habe sich vor den Augen seiner Schwester das Leben nehmen wollen. Da er sie jedoch nicht antraf und auch auf Fragen nach ihrem Aufenthaltsort keine Antwort bekam, habe er die Waffe gezogen, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Dass eine Frau durch den Schuss tödlich verletzt wurde, hat er nach eigenen Worten nicht wahrgenommen.
Zur Tatwaffe erklärte der Angeklagte, er habe die halbautomatische Waffe mit zwei vollen Magazinen sowie weitere 50 Patronen vier Monate vor der Tat auf einem Flohmarkt gekauft. Über die Beziehung zu seiner Schwester sagte er, er habe sie erst nach der Wende als 20-Jährige kennengelernt, da er 1973 nach einer Haftstrafe wegen versuchter Republikflucht in die Bundesrepublik ausgereist sei und keinen Kontakt mehr zu seiner Familie gehabt habe. Nach dem Kennenlernen seien die Geschwister eine Beziehung eingegangen, aus der auch ein gemeinsames Kind hervorging, das wenige Wochen nach der Geburt verstarb. Als Zeugin vor Gericht führte die Schwester aus, dass sie „dumm und naiv“ gewesen sei und die Beziehung nach kurzer Zeit beenden wollte. Ihr Bruder aber habe sie mit einer vorgehaltenen Pistole zum Bleiben gezwungen. In all den Jahren habe sie den Angeklagten als „gewalttätig, aggressiv und jähzornig“ erlebt. Sie habe ständig an Flucht gedacht, aber Angst vor den Konsequenzen gehabt und sich psychisch unter Druck gesetzt gefühlt. Schließlich sei ihr 2007 die Flucht gelungen und sie habe seitdem versteckt vor ihrem Bruder gelebt. Die Suche des Angeklagten nach seiner Schwester endete schließlich mit den Schüssen auf der Familienfeier. Eine „Mischung aus Groll, Wut, Kränkung, Vergeltung und Klärungsbedürfnis“ hat laut dem psychiatrischem Gutachter zu der Tat geführt. „Diese erfolgte jedoch nicht im Affekt“, betonte er. Er attestierte dem Angeklagten zwar ein „labiles Wertesystem, egozentrisches Verhalten, mangelnde Reife und eine fehlende Normenverinnerlichung“, schloss eine krankhaft psychische Störung des Beschuldigten aber aus. Der Angeklagte ist wegen Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung bereits mehrfach vorbestraft. In seiner Strafakte finden sich Parallelen früherer Beziehungstaten zum jetzigen Fall. Bereits 1985 hat er eine Frau mit einem Messer bedroht und verletzt, um die Trennung zu verhindern. Das Landgericht Bremen verurteilte den damals 32-Jährigen zu einer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Durch den jetzigen Anklagevorwurf drohen ihm laut einer Gerichtssprecherin bis zu 15 Jahren Haft. Der Prozess wird in der kommenden Woche fortgesetzt. Peter Könnicke
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