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Auf Halbmast: Für das Rathaus der Stadt Falkensee wie für Behörden im ganzen Land ist nach dem Terroranschlag von Istanbul Trauerbeflaggung angeordnet worden.

© Ralf Hirschberger/dpa

Anschlag in Istanbul: Brandenburger Ehepaar unter Opfern: Trauer in Falkensee

In der boomenden Havelland-Stadt Falkensee reißt der Terror von Istanbul eine Lücke. Viele kannten die Opfer. Für das Ehepaar war Reisen eine Leidenschaft.

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Falkensee - Schwarz-rot-goldene Flaggen hängen schlaff im Nieselregen auf halbmast. Falkensee steht am Mittwoch unter Schock. Für die gutbürgerliche Stadt im Berliner Speckgürtel war Terrorismus bisher immer weit weg. Nun gibt es Todesopfer aus dem Ort. Viele kannten hier das Rentnerpaar, das beim Selbstmordanschlag in Istanbul ums Leben kam. Laut „Bild“-Zeitung handelt es sich um Marianne (71) und Rüdiger F. (73). Sie haben demnach zwei Söhne in Falkensee, außerdem zwei Enkelkinder. Die beiden Senioren waren über Jahrzehnte im örtlichen Turn- und Sportverein stark engagiert. Ihre Schwiegertochter hat dort ein Spitzenamt.

„Wir waren natürlich geschockt. Es ist einfach unfassbar“, sagt die Schwiegertochter im Gespräch mit der „Märkischen Allgemeinen“. „Jetzt ist der Terror bei uns im beschaulichen Falkensee angekommen.“ Beamte des Bundeskriminalamts sollen kurz nach Mitternacht vor der Tür gestanden haben.

Traum von Übernachtung in Dubai

„Wir lassen uns das Leben nicht verbieten!“, sagt die Hinterbliebene im Namen der Opfer. Ihre Schwiegereltern seien trotz der Anschläge in Ägypten vor einigen Jahren weiter in muslimische Länder gefahren. „Reisen war ihre Leidenschaft.“ Zweimal im Jahr ging es auf Länderreise. Der Schwiegervater habe unbedingt in einem berühmten Hochhaus in Dubai übernachten wollen. „Das war sein Traum.“ Deswegen traten die Eheleute am Montag die Drei-Länder-Reise an. Istanbul war eigentlich nur ein Zwischenstopp. Als die Familie am Dienstag aus den Medien von dem Anschlag erfuhr, versuchte sie laut „Bild“ vergeblich, Marianne und Rüdiger F. zu erreichen. Dann habe die Schwiegertochter die beiden unter den Toten auf Fotos vom Anschlagsort erkannt.

Ein Freund der Familie sagte der „Bild“-Zeitung über das ermordete Ehepaar: „Beide waren Metzger, arbeiteten bis zur Rente in einem Geschäft in Falkensee.“ Seit Jahrzehnten hätten sie in einem Einfamilienhaus in Falkensee gelebt.

Zehn deutsche ums Leben gekommen

Bei dem Selbstmordattentat am Dienstag nahe der weltberühmten Hagia Sophia im Altstadtviertel Sultanahmet waren mindestens zehn Deutsche ums Leben gekommen. Unter den Opfern sind neben den beiden Brandenburgern auch eine 70-Jährige aus Leipzig sowie zwei 51 und 75 Jahre alte Männer aus Dresden; weitere Opfer kommen aus Berlin, Hessen und Rheinland-Pfalz.

Die Reisenden waren mit dem Berliner Veranstalter Lebenslust Touristik GmbH unterwegs. Sie hatten nach Unternehmensangaben eine Pauschalreise gebucht und wollten von Istanbul aus weiter nach Dubai. Die Firma ist nach eigenen Angaben auf Gruppenreisen für Menschen „in den besten Jahren“ spezialisiert.

Heiko Müller, SPD-Bürgermeister der 43 000-Einwohner-Stadt, kennt die Familie. „Das geht mir sehr nahe.“ Die Anteilnahme an dem schrecklichen Ereignis sei sehr groß. Viele Vereinsmitglieder drücken den Hinterbliebenen persönlich ihr Beileid aus. In einer Erklärung des Bürgermeisters heißt es: „Der Terror hat uns inzwischen auch in Falkensee erreicht. In diesen schweren Stunden der Trauer sind unsere Gedanken bei den Angehörigen der Opfer.“

Angriff auf die Freiheit

Auch die CDU-Landtagsabgeordnete Barbara Richstein aus Falkensee zeigte sich betroffen: „Wir verurteilen den heimtückischen Anschlag, der unschuldige Menschen in ihrem Urlaub in den Tod gerissen hat“, sagte die am Mittwoch. „Es ist ein Angriff auf unsere Freiheit und unsere Menschlichkeit, der zeigt, dass wir entschlossen gegen den internationalen Terrorismus vorgehen müssen.“ Die Gedanken und Gebete seien nun bei den Familien und Angehörigen.

Die Grünen-Landtagsabgeordnete Ursula Nonnemacher, die ebenfalls in Falkensee lebt, sagte: „Jeder dieser menschenverachtenden Anschläge ideologisch vernagelter Terroristen macht traurig und fassungslos.“ Sie fügte hinzu: „Wenn unter den Opfern Menschen des eigenen Heimatorts sind, geht einem das aber noch viel näher.“ Sie werde in der nächsten Stadtverordnetenversammlung eine Schweigeminute vorschlagen.

Innenminister Schröter ordnet Trauerbeflaggung an 

Brandenburgs Innenminister Karl- Heinz Schröter (SPD) hat nach dem Terroranschlag in Istanbul mit zehn Todesopfern aus Deutschland angeordnet, dass die Flaggen im Land auf Halbmast wehen. Bis Freitag gilt an den Dienstsitzen der öffentlichen Verwaltung Trauerbeflaggung. Schröter sprach den Angehörigen der beiden Falkenseer Opfer des mutmaßlich islamistisch motivierten Selbstmordanschlags seine Anteilnahme aus. „Wir stehen in dieser Stunde zusammen, um Trost denen zu spenden, die jetzt um ihre Lieben trauern“, erklärte Schröter: „Ich wünsche den Angehörigen aufrichtig viel Kraft, das Untragbare zu tragen.“ Unter den verletzten Opfern des Anschlags seien nach gegenwärtigem Erkenntnisstand keine Einwohner aus Brandenburg, hieß es weiter.

„Es tut mir sehr leid und ich bin sehr traurig“, sagt eine Frau vor dem Falkenseer Rathaus, die ihren Namen nicht nennen mag. Passant Florian Dietze-Römkes sagt: „So etwas macht Angst, weil ich beruflich viel im Ausland unterwegs bin. Es würde mich schon sehr betroffen machen, wenn am nächsten Morgen ein Kollege fehlen würde.“ „In unserer Generation macht man gerne Städtereisen und wir überlegen jetzt, solche Touren nun nicht mehr zu unternehmen“, sagt Manuela Schermutzki, die mit ihrem Mann durch den Regen eilt. „Ich war entsetzt, obwohl ich schon innerlich darauf gewartet habe, dass etwas Neues passiert. Man muss heutzutage sehr aufmerksam sein und dass man grundsätzlich überlegt, wo man hinfährt. Aber letztlich kann man so etwas nicht verhindern“, ergänzt ihr Ehemann. (mit Alexander Fröhlich)

Georg-Stefan Russew

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