Von Thorsten Metzner: Typisch Brandenburg
Mit einem Eklat gestartet entwickelte sich das politische Jahr zu einem der märkischen Art: unaufgeregt plätscherte es dahin – über Untiefen und Tiefen
Stand:
Das gab es in der Bundesrepublik vorher nie: Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes stand plötzlich kein Geringerer als das offizielle Brandenburg wie ein ertappter Sünder da, überschlugen sich die Schlagzeilen. Ausgerechnet das Land hatte sich 1999/2000, wie die Leipziger Richter ungewöhnlich scharf rügten, „sittenwidrig“ und „eines Rechtsstaates unwürdig“ rund zehntausend frühere Bodenreform-Grundstücke von Neubauern unter den Nagel gerissen. Brandenburg hatte also, erstmals seit längerem, wieder eine handfeste Affäre.
Was war das für ein dramatischer Auftakt des Jahres 2008, das sich nun dem Ende neigt! Der dünnhäutiger als früher wirkende Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) musste, wie einst bei der fast vergessenen Trennungsgeld-Affäre, in einer Regierungserklärung vor dem Landtag Buße tun, wenn auch widerwillig, und stellvertretend für seinen Vorgänger. Die Links-Opposition setzte einen Untersuchungsausschuss durch, der noch ermittelt, wie es zu der rechtswidrigen Massen-Enteignung kommen konnte.
Und trotzdem ging das offizielle Brandenburg dann erstaunlich schnell wieder zur Tagesordnung über, blieb dieses 2008 fortan seltsamerweise ein sehr, sehr brandenburgisches Jahr, also politisch ruhig, unaufgeregt – der Lauf der Dinge eben, ohne große aufgewühlte Debatten, ohne Eruptionen, die das Land erschütterten. Die SPD-CDU-Regierungskoalition übte sich im Verwalten, als dass man zum Ende der Legislatur noch Akzente setzte. Es ging, das ist die positive Erklärung dafür, anno 2008, aufwärts mit diesem Landstrich um Berlin. Es gab gute Nachrichten en masse: Die Wirtschaft brummte, die Arbeitslosigkeit niedrig wie ewig nicht, die Zukunftsagentur (ZAB) konnte eine Rekordbilanzen bei Ansiedlungen und Investitionen verkünden. Am neuen Hauptstadt-Flughafen BBI in Schönefeld wird im Eiltempo gebaut, irische Unternehmer wollen im Umfeld 1,1 Milliarden Euro investieren. Das Glaswerk in Tschernitz wurde gerettet, in Eisenhüttenstadt der Grundstein für eine neue 600-Millionen-Papierfabrik gelegt. Die märkischen Schüler legten laut Pisa-Studie deutlich zu. Dahme-Spreewald wurde bester Landkreis Ostdeutschlands. Brandenburg wurde im Bundeswettbewerb bestes Land bei der Förderung erneuerbarer Energien. Kein Wunder eigentlich, dass die Kommunalwahl am 28. September eher als eine Pflichtübung der Parteien über die Bühne ging, mit den üblichen Internet-Pannen am Wahlabend – sie packen´s wohl nie – und dem erwarteten Ausgang: Die SPD lag vorn, wie seit Jahren (aber: knapp) vor den Linken – und der mittlerweile auf Platz Drei ständig deklassierten Union.
Es sieht im Rückblick fast so aus, als ob alle 2008 noch einmal Kräfte sammeln wollten, bevor es dicke kommt. Vor der heraufziehenden Krise, vor dem Superwahljahr 2009, in dem parallel zur Bundestagswahl am 27. September ein neuer brandenburgischer Landtag gewählt wird. Wer weiß, fest steht, dass Brandenburgs Parteien dieses Vor-Wahl-Jahr samt Generalprobe in den Rathäusern auf ihre Weise zur Vorbereitung nutzten: Da schickte die SPD mit Klaus Ness, Rainer Speer, Holger Rupprecht oder Ex-Bundesgeschäftsführer Martin Gorholt ihre Promis aufs Land, da holte sie Kanzlerkandidat und Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Bundestagsdirektkandidaten in die Stadt Brandenburg, so dass die märkischen Genossen mit einer Doppelspitze Platzeck-Steinmeier in die Doppelwahl gehen.
Auch die zerkämpfte CDU sortierte, noch einmal, rechtzeitig ihr Führungspersonal neu – diesmal ohne Turbulenzen. Es ist ein Rekord: Von den vier CDU-Ministern im Kabinett waren alle bis auf Justizministerin Beate Blechinger schon mal Parteivorsitzende. Nach Innenminister Jörg Schönbohm und Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns soll nun Wissenschaftsministerin Johanna Wanka, die sich mit dem Lager um den „heimlichen Parteichef“ Sven Petke arrangierte, die Partei ins Wahljahr führen. Wird das halten?
Tja, und dann ist da die Linke, die Rot-Rot anpeilt, stark startete und am Ende des Jahres doch schwächelte und Rätsel aufgab. Mit der erfolgreichen Volksinitiative gegen Elternbeiträge für Schulbusse, dem Volksbegehren unter linker Beteiligung für ein Sozialticket wurde die SPD/CDU-Koalition durch Druck von unten zum sozialpolitischen Einlenken gezwungen: Platzeck ließ ein „Mobilitätsticket“ einführen und ein Sozialpaket schnüren, nachträglich vom im Dezember veröffentlichten Armutsbericht der Regierung bestätigt: Jedes vierte Kind in Brandenburg lebt von Hartz IV, die soziale Kluft zwischen Umland und benachteiligten Regionen wie Uckermark oder Lausitz wächst. In der Energiepolitik aber, dem zweiten Mega-Thema, verkalkulierte sich die Opposition in und außerhalb des Parlamentes gründlich: Das Volksbegehren gegen neue Tagebaue in der Lausitz floppte. Und die Linken verpatzten am Ende sogar den Start ins Wahljahr, als sie Fraktionschefin Kerstin Kaiser mit einem blamablen 75-Prozent-Ergebnis zur Spitzenkandidatin kürten.
So bleibt Ende 2008 die Frage offen: Ob nach der Wahl 2009 mit Wanka oder Kaiser koaliert wird. Regierungschef Platzeck ließ sich da nicht in die Karten gucken. Er sorgte aber für die rührendsten Bilder aus der Mark, als er am 8.Juni Jeanette Jesorka in der Dorfkirche Ringenwalde heiratete und schneeweiße Tauben in den blauen uckermärkischen Himmel steigen ließ.
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