Brandenburg: „Unabweisbare Bedarfe“
Justizminister Ludwig kann kurzfristig mehr Stellen für die Verwaltungsgerichte durchsetzen. Doch bei ordentlichen Gerichten und Staatsanwaltschaften stellt sich Finanzminister Görke bislang quer
Stand:
Potsdam - Brandenburgs Justizminister Stefan Ludwig (Linke) versucht beim Personalmangel gegenzusteuern. Bei seinem Genossen und Finanzminister Christian Görke konnte sich Ludwig nun zumindest bei den Stellen an den Verwaltungsgerichten und bei den Justizvollzugsbediensteten in den Gefängnissen durchsetzen. Trotz des eindringlichen Appells von Generalstaatsanwalt Erardo C. Rautenberg und des Deutschen Richterbundes wird es jedoch für die Staatsanwaltschaften und die Amts- und Landgerichte vorerst kein neues Personal geben.
Wie der kleine Durchbruch bei den Stellen für die Verwaltungsgerichte publik wurde, zeigt aber, wie fragil die Position Ludwigs innerhalb des Machtgefüges im Kabinett von Dietmar Woidke (SPD) und unter den Linke-Ministern ist. Es war nicht Ludwig – der vor etwas mehr als einem Jahr den als Sparkommissar in der Justiz verschrienen Helmuth Markov als Minister ablöste –, der nun das Stellenplus nach wochenlangem internen Ringen verkünden durfte. Es war Finanzminister Görke, der am Freitagnachmittag eine Mitteilung verschicken ließ. Für PR-Zwecke ein ungünstiger Termin, intern kam es Görke aber zupass: Er war schon auf dem Weg zum Bundesparteitag der Linken in Hannover.
Und so musste Ludwig dem Vize-Regierungschef den Vortritt lassen, wobei der Zuschlag für die Verwaltungsgerichte nur ein Teilerfolg ist. Görke ließ verkünden: 26 neue Stellen im Bereich der Justiz. Dafür habe er dem Haushaltsausschuss des Landtags einen Antrag zugestellt, um im laufenden Haushalt wegen der „unabweisbaren Bedarfe“ besonders an den Verwaltungsgerichten mehr Geld für neue Stellen locker zu machen. Laut Justizministerium sollen zwölf zusätzliche Richter und zehn Mitarbeiter an den Verwaltungsgerichten eingestellt werden. Vier weitere Kräfte sollen eine Software für das E-Government der Justiz entwickeln. „Der Zielstellung der Landesregierung, Verfahrenszeiten an den Gerichten möglichst kurz zu halten und zeitnahe Entscheidungen für die Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen, kommen wir damit einen erheblichen Schritt näher“, sagte Görke.
Tatsächlich bleibt die Landesregierung jedoch hinter dem eigentlichen, von den Verwaltungsgerichten errechneten Bedarf zurück. Vor eineinhalb Wochen hatte die Vereinigung der Verwaltungsrichter in Brandenburg einen dramatischen Appell an die Landesregierung gerichtet, mit dem sie Ludwigs Verhandlungen mit Görke flankieren wollte. Die Vereinigung, vertreten vom Potsdamer Verwaltungsrichter Wilfried Kirkes, forderte 25 Prozent mehr Richter. Zu den 78 im Land vorgesehenen Stellen, von denen nur 73 besetzt sind, müssten 18 hinzukommen, dazu zwölf Stellen für Gerichtspersonal.
Der Grund für dem Weckruf aus den Verwaltungsgerichten war der explosive Anstieg neuer Verfahren. Im ersten Quartal stieg die Zahl um 340 Prozent. Im Januar lagen bei Brandenburgs Verwaltungsgerichten in Potsdam, Cottbus und Frankfurt (Oder) 14 600 unerledigte Verfahren. Bis Ende Mai stieg die Zahl auf 18 134. Davon waren allein 8591 Asylverfahren. Erledigt werden konnten nur 5300 Verfahren, bei 3000 davon ging es ums Asylrecht. Bis Ende Mai gingen aber bereits 8700 neue Klagen ein. Der Aktenberg wächst also.
Weil es bei Asylfragen meist um Eilklagen geht, müssen andere Verfahren liegen bleiben: Klagen auf einen Studienplatz, Bafög-Bescheide oder Baugenehmigungen. Es gebe sogar Eilverfahren, die ein Jahr lang liegen bleiben, bis über sie entschieden werde, hatte Kirkes erklärt. Er warnte vor einer totalen Blockade der Verwaltungsgerichte durch Asylprozesse. Nach den Flüchtlingswellen in Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des Jugoslawienkrieges in den 1990er-Jahren hätten die hiesigen Verwaltungsgericht zehn Jahre gebraucht, um alles abzuarbeiten, und die seien im Vergleich zu den heutigen Verfahren einfach gewesen. Wegen des Anstiegs der Flüchtlingszahlen spätestens seit 2015 sei mit dem bisherigen Personal damit zu rechnen, dass die Aufarbeitung 20 Jahre in Anspruch nimmt, warnte Kirkes. Dabei war der zusätzliche Bedarf absehbar. Die Zahl der Asylbewerber und ihrer Klagen steige seit dem Jahr 2012, dennoch seien Stellen abgebaut worden.
Auch Justizminister Ludwig räumte ein, dass gegengesteuert werden muss. Doch der außerplanmäßige Antrag auf mehr Stellen im laufenden Haushalt deutet auf eine Hauruck-Aktion hin. Auf die Forderung der Verwaltungsrichter nach einem Nachtragshaushalt wollte sich Finanzminister Görke aber nicht einlassen.
Grund für einen großen Wurf hätte es aus Sicht der Justiz durchaus gegeben. Wie groß die Not ist, zeigte ein Brandbrief, den Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo C. Rautenberg gemeinsam mit den vier Leitern der Staatsanwaltschaften verfasst hatte. Darin forderten sie ein Ende des Stellenabbaus, weil eine effektive Justizgewährung und Strafverfolgung im Land nicht mehr gewährleistet werden könne, Staatsanwaltschaften und Gerichte restlos überlastet und überlange Verfahrenslaufzeiten die Folge seien. In den Geschäftsstellen bleibt selbst eilige Post zuweilen einen Monat ungeöffnet liegen. Bei den Staatsanwaltschaften fehlen bis zu 18 Prozent des nötigen Personals.
Selbst Justizminister Ludwig räumte ein, dass Handlungsbedarf besteht – und zwar akut. Denn bei Richtern und auch Staatsanwälten fehlen Nachwuchskräfte, um die Alterung des Personals und die bevorstehende Pensionierungswelle aufzufangen. Und die rollt gerade erst an. Ende Mai hatte Ludwig von einer strategischen Personalplanung gesprochen, die nötig sei. Und: „Um den Einstellungsbedarf, der nach 2020 besteht, strategisch vorzubereiten, bräuchte ich jetzt 30 Einstellungen pro Jahr.“ Ludwigs Ministeriumssprecher hatte ergänzt: „Wir kennen die Lage und werden handeln.“ Ludwig sei in Gesprächen mit Finanzminister Görke, um den Personalbedarf abzustimmen.
Durchsetzen konnte sich Ludwig offenbar nicht. Bislang hatte Görke es abgelehnt, den errechneten Personalbedarf bei den ordentlichen Gerichten und Staatsanwaltschaften zu akzeptieren. Eine Entscheidung wird nun auf die lange Bank geschoben, wie der Ministeriumssprecher nun einräumen musste. Frühestens mit dem Haushalt 2019 könnte es neue Stellen geben – wenn überhaupt, heißt es nun.
Claudia Odenbreit, Landesvorsitzende des Richterbundes in Brandenburg, sagte den PNN: „Ich finde es bedauerlich, dass eine Entscheidung wie in den vergangenen Haushaltsjahren auf den nächsten Haushalt verschoben wird.“ Offenbar erkenne die Landesregierung nicht, wie prekär die Lage ist. „Wenn man wartet, bis der Karren in den Dreck gefahren ist, muss er mit noch größerer Kraft herausgezogen werden“, warnte Odenbreit. „Hier werden sehenden Auges falsche Entscheidungen getroffen.“ Der Justizminister habe selbst erklärt, dass genau jetzt der letzte richtige Zeitpunkt sei, um mit dem strategischen Personalumbau und der Nachwuchsgewinnung zu beginnen.
Der rechtspolitische Sprecher der oppositionellen CDU, Danny Eichelbaum, bezeichnete das Stellenplus für die Verwaltungsgerichte als „Tropfen auf dem heißen Stein“. Der Personalzuwachs komme zu spät und reiche bei weitem nicht aus. Gerade bei den ordentlichen Gerichten und Staatsanwaltschaften brauche es jetzt eine Verstärkung. Eichelbaum forderte deshalb einen „Masterplan 2025“ für die Justiz. Jährlich müssten 40 neue Stellen her, um die Pensionslücke aufzufangen.
Immerhin ist es für Ludwig schon ein kleiner Erfolg, überhaupt neue Stellen bekommen zu haben. Dazu gehört auch dies: Ludwig hat nach PNN-Informationen Görke eine Korrektur in der Personalbedarfsplanung bis 2020 für den Strafvollzugsdienst abgerungen. Statt bisher 920 Stellen, sind nun 955 Stellen darin vorgesehen. Die zusätzlichen Jobs können nun besetzt werden. Um weitere Gespräche zur Personalnot in der Justiz nicht zu gefährden und das Finanzressort nicht zu brüskieren, vermeidet es Ludwig aber, selbst diesen Vorstoß als seinen Erfolg zu verkaufen.
nbsp;Alexander Fröhlich
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: