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Prozessbeginn. Der Beschuldigte ist seit sieben Monaten in Haft.

©  Rainer Jensen/dpa

Brandenburg: Unter falscher Flagge

Er gab den Schiffsarzt auf der Aida, überwachte Organtransplantationen in Berlin – und wurde 2015 als Hochstapler enttarnt. Vor Gericht zeigte sich Denny H. selbstkritisch

Stand:

Berlin - Es tue ihm fürchterlich leid, sagt er. Er wollte doch nur helfen. Um Geld sei es nie gegangen! Aber kann man ihm glauben? Erstens müssen Beschuldigte vor Gericht bekanntlich nicht die Wahrheit sagen. Und zweitens sitzt Denny H. ja genau deshalb auf der Anklagebank: weil er jahrelang ausgiebig, hartnäckig und sehr überzeugend gelogen haben soll.

An diesem Donnerstag spricht der 41-Jährige hastig und nuschlig, als er erklärt, was er an Bord der „Aida Vita“ alles behandelte. Da war die entzündete Stelle am Unterschenkel von Rosemarie W., „ein nicht unerheblicher Infekt“, sagt er. Er gab Antibiotika. Ein anderer Patient war beim Landgang so unglücklich gestürzt, dass Denny H. einen Hautlappen an einen Finger nähen musste. Bei Kreislaufbeschwerden gab er Infusionen und, na klar, immer wieder Spritzen gegen Seekrankheit. Stets zur Zufriedenheit der Patienten. Bloß dass sie eben nicht ahnten, wen sie da vor sich hatten.

Zum Gerichtstermin ist Denny H. in gebügelter Stoffhose und mit Ellenbogenflicken an den Pulloverärmeln erschienen. Sein kurzes blondes Haar fällt leicht nach links, sehr akkurat für einen, der seit sieben Monaten in Untersuchungshaft sitzt. Sein Gesicht ähnelt dem von Komiker Michael Kessler, auch mit betrübter Miene.

Von Juni 2014 bis November 2015 war er, eigentlich Pfleger von Beruf, als Schiffsarzt bei der Kreuzfahrtlinie Aida beschäftigt. Die meiste Zeit verbrachte er an Bord der „Aida Vita“ in der Karibik. 1200 Passagiere passen aufs Schiff, dazu 400 Mann Besatzung. Davor hatte H. in Berlin und Umgebung die Transplantation von Organen koordiniert. Bei der Charité hielt er Vorträge („Aktuelles zu Organtransplantationen“), in einer Praxis in der Charlottenburger Bismarckstraße gab er sich vertretungshalber als Anästhesist aus. 

Zu Prozessbeginn verliest sein Anwalt eine Erklärung. Darin steht, dass Denny H. schon im Alter von neun Jahren Arzt werden wollte. Inspiriert hätten ihn die Medizinmänner in den Büchern von Karl May. Ausgerechnet Karl May.

Dauerhaften Schaden hat wohl keiner seiner Patienten davongetragen. Trotzdem muss sich Denny H. jetzt für 80 Anklagepunkte verantworten, etwa wegen gefährlicher Körperverletzung – und Urkundenfälschung. Die ging ganz leicht, sagt Denny H. Zum Beispiel die Approbationsurkunde, also der Nachweis über das erfolgreiche Staatsexamen und somit die Berufszulassung. Die hat er im Internet als Vorlage gefunden, ausgedruckt, seinen Namen eingetragen und dann wieder eingescannt. Weil er kein Original, sondern nur eine beglaubigte Kopie einreichen musste, hat er noch den entsprechenden Beglaubigungsvermerk gefälscht. Wie der aussieht, hat sich Denny H. einfach von seinem Personalausweis abgeschaut: Auf dem hatte das Bezirksamt Pankow Jahre zuvor einen entsprechenden Vermerk gemacht.

Warum er das alles gemacht hat? Die Begründung klingt so abenteuerlich wie der Fall selbst: Denny H. habe die Zustände an der Stendaler Klinik, an der er seine Ausbildung zum Pfleger erhielt, nicht mehr ertragen – dort habe man sich viel zu wenig um die Patienten gekümmert.

Der Richter will wissen, ob es ihm nicht doch auch ums Geld gegangen sei. Oder um „eine Art Selbstaufwertung“ vielleicht? Nein, nein, sagt H. „Ich habe es immer nur für die Menschen gemacht.“ Allein von der Deutschen Stiftung Organtransplantation, bei der er nicht nur als Transplantationskoordinator, sondern ausgerechnet auch noch als „Ethikbeauftragter“ fungierte, bekam er 300 000 Euro brutto. Das sind 7000 im Monat. Das Geld habe H. gebraucht, um sein Haus in Brandenburg abzubezahlen, sagt er. Dazu die Miete für seine Berliner Wohnung und der Unterhalt für seine Tochter. Weil auf der Aida alle Patienten privat abgerechnet werden, habe er dort auch eine Umsatzbeteiligung erhalten, diese Praxis finde er allerdings „ethisch eher schwierig“, sagt er jetzt.

Der Richter hat sichtlich Probleme damit, die verschiedenen Urkunden und Zeugnisse, die Denny H. im Laufe der Jahre gefälscht hat, auseinanderzuhalten. Aufgeflogen ist der Beschuldigte schließlich, weil er bei der Berliner Ärztekammer einen neuen Arztausweis beantragte und sich dort „Cato“ als zweiten Vornamen eintragen lassen wollte – so hieß eigentlich sein Kampfhund. Warum das denn jetzt, will der Richter wissen. „Das kann ich mir heute auch nicht mehr erklären.“ Seinen echten Namen habe er nie gemocht.

In den Unterlagen der Staatsanwaltschaft findet sich auch ein Arbeitszeugnis der Deutschen Stiftung Organtransplantation, und das ist zur Abwechslung nicht gefälscht. Darin wird Denny H. bescheinigt, er habe stets sehr sorgfältig, präzise und selbstständig gearbeitet. Dann der Satz: „Besonders hervorheben möchten wir sein hohes Verantwortungsbewusstsein und eine sehr starke Eigeninitiative.“

Denny H. kooperiert, den ganzen Vormittag über beantwortet Denny H. die Fragen des Richters und der Staatsanwältin. Auch den konkreten Zeitpunkt, als er sich fürs Lügen entschied, kann er nennen: Es war ein dreimonatiger Aufenthalt in einem burmesischen Kloster. Anschließend behandelte er dort die Landbevölkerung – niemand fragte nach Urkunden.

Sechs weitere Prozesstermine sind angesetzt. Sachverständige sollen etwa erklären, wie gefährlich die Eingriffe von Denny H. waren und was hätte passieren können. Der Beschuldigte sagt: „Ich weiß, dass es für das Gericht komisch klingen mag, aber ich hatte bei meiner Arbeit immer sehr hohe ethische Ansprüche.“

Er sagt auch, dass er nach seiner Haftentlassung, wenn irgendwann sein neues Leben beginne, nie wieder im medizinischen Bereich arbeiten werde. Hochstapler-Ehrenwort. „Ich bereue, dass ich damals nicht einfach Medizin studiert habe. Dann säße ich jetzt nicht hier.“ Denny H. hat Angst vor dem Moment, wenn er seiner Tochter erklären muss, warum er gerade im Gefängnis sitzt. Sie weiß noch gar nicht, dass ihr Vater kein richtiger Arzt ist. Er ließ ihr ausrichten, er befinde sich auf einer langen Reise. Sebastian Leber

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