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Problemfall S-Bahn.

© dapd

Brandenburg: Unterwegs auf verschiedenen Gleisen

Die Berliner SPD fordert von S-Bahn Entschädigung für Fahrgäste. Koalition streitet sich immer offener um die Zukunft des maroden Betriebs

Stand:

Berlin - Die Berliner SPD erhöht den Druck auf die S-Bahn. Der verkehrspolitische Sprecher der Abgeordnetenhausfraktion, Ole Kreins, forderte am Montag, dass die Fahrgäste einen Monat lang kostenlos fahren dürfen. Damit sollten sie für das knappe Zugangebot entschädigt werden. Nach Zahlen des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg, die Kreins vorlegte, brachte die S-Bahn in der vergangenen Woche nicht einmal mehr 90 Prozent der im Verkehrsvertrag vorgesehenen Zuganzahl auf die Schiene. Am Freitag waren es 469 Doppelwagen - 83,5 Prozent.

Unterdessen treibt der Streit um die Zukunft der S-Bahn die rot-schwarze Koalition in Berlin auseinander. Während die SPD dazu tendiert, den Betrieb in kommunale Hände zu legen, besteht die CDU darauf, dass der Senat die Teilausschreibung des S-Bahnrings „rechtssicher“ fortsetzt – trotz eines Urteils des Kammergerichts, das vor einer Woche dazu riet, das laufende Vergabeverfahren einfacher zu gestalten.

Der CDU-Fraktionschef Florian Graf sieht darin aber keine Aufforderung, die Ausschreibung abzubrechen und die S-Bahn beispielsweise an die BVG zu vergeben. „Das jahrelange Hin und Her zur möglichen Direktvergabe hat bereits viel zu viel Zeit gekostet“, sagte Graf. Er kritisierte damit indirekt die Sozialdemokraten, die eine solche Direktvergabe bevorzugen. In Partei und Abgeordnetenhausfraktion der SPD gibt es dafür eine Mehrheit. Trotzdem beschloss der Senat im Juni 2012 die Teilausschreibung des S-Bahnrings einschließlich der Zubringerlinien im Südosten Berlins. Doch auf der Fraktionsklausur am Wochenende in Polen erhöhte sich nach der Entscheidung des Kammergerichts der Druck auf Senator Michael Müller, die S-Bahn zu kommunalisieren.

Dagegen verwies CDU-Fraktionschef Graf auf die Koalitionsvereinbarung, die eine Direktvergabe nicht vorsehe. Beide Regierungsfraktionen werden sich am Dienstag mit dem Thema befassen. Gleichzeitig wird die SPD-Fraktions-Arbeitsgruppe „Daseinsvorsorge“ voraussichtlich energisch dafür plädieren, von der Teilausschreibung abzurücken.

Ein Kompromiss im Streit zeichnet sich noch nicht ab. Im Gegenteil, CDU-Verkehrsexperte Oliver Friederici legt hier noch eins drauf. „Da muss Müller jetzt durch“, forderte er am Montag. Eine Direktvergabe der S-Bahn an die BVG „geht gar nicht“. Die Berliner Verkehrsbetriebe seien ein hoch verschuldetes Unternehmen, das überhaupt keine Erfahrung mit dem Eisenbahnverkehr habe. Friederici erinnerte daran, dass nicht nur die BVG-Chefin Evelyn Nikutta, sondern auch die Arbeitnehmervertreter sich gegen eine Übernahme der S-Bahn bis heute wehren. Finanzsenator und BVG-Aufsichtsratschef Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) steht auf ihrer Seite.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat sich in den Konflikt bislang nicht öffentlich eingemischt. Bisher galt er als Verfechter der Teilausschreibung, an der sich die Bahn AG und Großunternehmen aus Frankreich, Großbritannien und China beteiligen. Sollte das Verfahren gekippt werden, müsste der Senat mit Schadensersatzklagen der Mitbewerber rechnen. Das Abgeordnetenhaus wird sich mit dem Thema am Donnerstag in einer Aktuellen Stunde befassen.

Die Grünen forderten am Montag erneut, „die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens schnell aus dem Weg zu räumen“. Der Senat müsse die S-Bahnzüge selbst bestellen und einen landeseigenen Fuhrpark aufbauen. Die Vergabe der S-Bahn an einen kommunalen Träger lehnen die Grünen ab, zumal der S-Bahnbetrieb länderüberschreitend sei. Das Land Brandenburg müsste einbezogen werden. Dagegen steht die Linkspartei Schulter an Schulter mit der SPD-Linken. Das Verfahren zur Teilprivatisierung müsse gestoppt und der Betrieb kommunalisiert werden. Die notwendigen Fahrzeuge müsse der Senat „sofort beschaffen“.

Der Konflikt hat Geschichte: 1984 übergab die DDR-Reichsbahn ihre ziemlich marode, nur noch auf wenigen Strecken fahrende S-Bahn an die BVG in West-Berlin. Es war ein sündhaft teurer Kraftakt, der den Bundes- und Landeshaushalt jährlich mit dreistelligen Millionenbeträgen belastete. Seit 1994 wird die S-Bahn von der bundeseigenen Bahn AG betrieben. 1999 scheiterten Gespräche zur Gründung einer Holding, die BVG und S-Bahn vereinigen sollte. Allerdings unter Regie der Deutschen Bahn.

Die Diskussion über das Schicksal der S-Bahn lebte wieder auf, als der Betrieb im Winter 2009 wegen erheblicher technischer und organisatorischer Probleme fast zusammenbrach. Ende 2017 läuft der Verkehrsvertrag mit der S-Bahn aus. Berlin und Brandenburg suchen für die Zeit danach einen neuen Betreiber (dies könnte wieder die Bahn AG sein). Ein neuer Vertrag muss her, aber auch neue Fahrzeuge. Allein 380 Wagen für den Ringverkehr fehlen – bis spätestens 2020. Ulrich Zawatka-Gerlach (mit dpa)

Ulrich Zawatka-Gerlach (mit dpa)

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