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Brandenburg: „Urberliner - schon immer Minderheit“

Stadtsoziologe Kapphan über Dialekte, Rassismen – und Butterhörnchen

Stand:

Herr Kapphan, Sie sind Schwabe und leben in Prenzlauer Berg. Was haben Sie bloß mit dem Viertel angestellt, dass es Wolfgang Thierse dort nicht mehr gefällt?

Warum es Herrn Thierse da nicht mehr gefällt, kann ich nicht sagen. Was ich aber sagen kann, ist: Das Thema „Schwaben in Berlin“ ist uralt. Man hat sich schon in den Achtzigerjahren an den Schwaben abgearbeitet, es hieß, wir seien die größte Minderheit hinter den Türken. Aber man muss dazu sagen, dass Schwaben für den normalen Berliner direkt südlich vom Main beginnt und von den Ausmaßen immer etwas größer wahrgenommen wurde, als es tatsächlich ist. Es sind Hessen, Franken, Pfälzer, Badener.

Warum aber sind ausgerechnet die Schwaben das Feindbild?

Zur Selbstidentifikation braucht jede Gemeinschaft jemanden, von dem sie sich abgrenzen kann. In der Berliner Geschichte hat man das meistens mit den Rheinländern und den Bayern gemacht. Weil vor allem die Bayern aber bis auf ein paar Ausnahmen gar nicht nach Berlin wollten, ist man irgendwann umgeschwenkt zu den Schwaben. Und gleichzeitig haben die Schwaben keinen guten Ruf. Sie gelten als wohlhabend, aber geizig. Außerdem sprechen sie oft einen starken Dialekt.

Schwingt die Angst vor einer Vertreibung aus der Innenstadt beim Bashing mit?

Im Prenzlauer Berg wird Gentrifizierung stark mit Schwaben in Verbindung gebracht. De facto ist Gentrifizierung aber ein ökonomischer Vorgang, bei dem Mietpreise steigen, weil mehr Leute als früher ihr Geld in Immobilien anlegen. Das mag vielleicht in Einzelfällen auch der süddeutsche Unternehmer sein, der sein Geld hier investiert. Aber das sind auch Berliner selber und Investoren aus der ganzen Welt. Es handelt sich um einen sozialen Konflikt, keinen ethnischen. Die Graffiti „Schwaben raus“, die man im Prenzlauer Berg sieht, lehnen sich an unschönes Gedankengut an und führen in die Irre. Und es ist mir nicht verständlich, dass diese Rassismen regelmäßig auch von der Politik bedient werden.

Herta Heuwer, die Erfinderin der Currywurst, ist selbst keine gebürtige Berlinerin gewesen. Was sagt das aus über eine Stadt, in der selbst bekannte Bewohner nicht von hier sind?

Berlin war schon immer eine Einwanderungsstadt. Da schmückt man sich eben auch mit den Federn derjenigen, die nicht von hier sind. Im Übrigen hat der Berliner als Menschentyp auch nicht den besten Ruf. Man muss nur mal nach Brandenburg fahren, da gelten Berliner als überheblich und kaltschnäuzig. Kurioserweise hat das aber keine Auswirkung auf das Bild der Stadt.

Was ist eigentlich provinzieller: Wecke statt Schrippe zu sagen oder Menschen vorschreiben zu wollen, wie sie Brötchen nennen sollen?

Wer gute Wecken anbietet, soll sie gerne Wecken nennen. Wenn jemand gute Croissants verkauft, soll er sie Croissants nennen. Wir sagen ja auch nicht Butterhörnchen, wenn wir Croissants meinen.

Das Gespräch führte Tiemo Rink

Andreas Kapphan ist in der Nähe Stuttgarts aufgewachsen und lebt seit 25 Jahren in Berlin. Der 46-Jährige ist Soziologe mit dem Schwerpunkt Stadtsoziologie und Migrationsforschung.

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