
© Michael Gottschalk/ddp
Brandenburg: „Vergangenheit ist ein Wiedergänger“
Marianne Birthler, erste Bildungsministerin Brandenburgs und Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde, über den unterschiedlichen Umgang mit Stasi-Mitarbeitern in Brandenburgs Ministerien
Stand:
Frau Birthler, Brandenburg diskutiert wieder die Übernahme von hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern des DDR-Geheimdienstes MfS in den öffentlichen Dienst nach der Wende. Sie waren von 1990 bis 1992 für Bündnis 90/Grüne Bildungsministerin in der Ampel-Koalition in Brandenburg und sind mit den belasteten Lehren härter umgegangen.
Härter? Weiß ich nicht – aber zumindest gründlicher.
Welche anderen Kriterien hatten Sie als Ministerin für die Tauglichkeit der Lehrer, die an Brandenburgs Schulen bleiben durften?
Ganz einfach: Die Schüler Brandenburgs sollten nicht von früheren Spitzeln unterrichtet werden. Ansonsten lag der entscheidende Unterschied im Verfahren zur Überprüfung. Für mich war von vornherein klar: Alle Lehrkräfte müssen überprüft werden. Ich hatte in meinem Ministerium sogar ein eigenes Referat eingerichtet, das Referat für Aufarbeitung der Vergangenheit und zur Förderung der demokratischen Kultur. Aber wir wollten ein klares demokratisches und rechtsstaatliches Verfahren. Wir haben dann in allen damals noch 44 Landkreisen und kreisfreien Städten je fünfköpfige Personalkommissionen gegründet.
Wer war da drin?
Der Kreisschulrat, der Bildungsdezernent des Kreises, ein Vertreter der Kirche und zwei Mitglieder des jeweiligen Kreistages. Wir haben dieses Verfahren damals auch mit den Lehrergewerkschaften so besprochen.
Wie gingen diese Kommissionen vor?
Diese Kommissionen nutzten die Personalfragebögen, beantragten die Überprüfung bei der Stasi-Unterlagen-Behörde und gingen Hinweisen etwa von Kollegen oder aus der Bevölkerung nach. Bei den Lehrkräften, bei denen es dann tatsächlich Hinweise auf Stasi-Mitarbeit gab, sind diese Kommissionen aktiv geworden, haben die Unterlagen gesichtet, sich beraten, die Betreffenden angehört. Diese konnten zur Anhörung eine Vertrauensperson mitbringen.
Welche Kompetenzen hatten diese Kommissionen?
Sie haben zunächst im Einzelfall beraten, welche Empfehlung an die Schulämter sie abgeben. Das konnte dann von der fristlosen Entlassung reichen bis hin zur Empfehlung, dass der entsprechende Lehrer in der Schule bleiben, aber keine leitende Funktion mehr übernehmen darf. Und diesen Empfehlungen ist dann meistens auch gefolgt worden. Wenn nicht, dann kam – so hatte ich das damals verfügt – der Fall zu mir, ich hatte dann das letzte Wort. So ist das – so weit ich das weiß – dann
Sie hatten, nachdem die Stasi-Verstrickungen von Regierungschef Manfred Stolpe bekannt geworden waren, am 29. Oktober 1992, aus Protest ihr Ministeramt niedergelegt.
bei den über 30 000 Lehrern gemacht worden. Es gab, so weit ich weiß, im Nachhinein nur eine überschaubare Zahl von Klagen gegen die Entlassung, die das Ministerium alle gewonnen hat.
Bis Ende 1995 war mehr als 1000 DDR-Lehrern gekündigt worden.
Die Zahl weiß ich nicht mehr genau, aber ich weiß, dass etwa die Hälfte derer, bei denen es einen IM-Befund gab, auch entlassen worden ist. Bei der anderen Hälfte gab es Gründe für eine zweite Chance – kein IM-Fall ist wie der andere.
War das Verfahren, das in Ihrem Ministerium angewandt wurde, auch aus heutiger Sicht richtig?
Ja. Es hat sehr sorgfältige Einzelfall-Prüfungen gegeben, und es sind in vielen Fällen Konsequenzen gezogen worden.
Wie waren die Reaktionen unter den Kabinettkollegen auf Ihr Vorgehen?
Kühl. Ich hatte das Verfahren, dass wir zu den Personalkommissionen und den Vertrauenspersonen entwickelt hatten, schriftlich ausgearbeitet. Damit bin ich in die Kabinettssitzung gegangen, um meinen Kollegen zu sagen: Schauen Sie mal, was wir für ein Verfahren zur rechtsstaatlichen und transparenten Überprüfung entwickelt haben, das könnte sie doch auch interessieren.
Und?
Es hat die Ministerkollegen nicht sonderlich interessiert.
Den damaligen Innenminister Alwin Ziel, der ja Tausende Polizisten überprüfen musste, auch nicht?
Nicht sonderlich. Dabei hatte ich das Innenministerium besonders im Blick, da damals viel darüber gemunkelt wurde, wer da so alles im Innenministerium untergekommen ist. Aber ich habe eher die kalte Schulter gezeigt bekommen.
Für die Polizisten wählte der Landtag 1991 schließlich einen etwas anderen Weg: Er ließ die Beschäftigten des Innenministeriums von einer fünfköpfigen Kommission überprüfen, der unter anderem die drei Generalsuperintendenten der evangelischen Kirche in Brandenburg, der Landeschef der Polizeigewerkschaft GdP sowie ein aus Nordrhein-Westfalen stammender Jurist der Landesregierung angehörten. Nach derzeitigem Stand gibt es gegen mindestens zwei der Kommissionsmitglieder den IM-Verdacht, eventuell gar gegen drei. Kann man da – nach ihrer Erfahrung als Nach-Wende-Ministerin – überhaupt noch von einem sauberen Verfahren sprechen.
Wenn die Kommissionsmitglieder tatsächlich IMs waren, was ich natürlich nicht weiß: Dann hätte man den Bock zum Gärtner gemacht.
Die Kommissionsmitglieder selbst waren zuvor nicht einmal überprüft worden.
Was soll ich dazu sagen? Bei uns im Bildungsbereich wurden zuallererst die Personalkommissionen in den Kreisen überprüft.
Laut Innenministerium wurden in Brandenburg neben mehr als 1300 IM auch 242 einst hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter in den Polizeidienst des Landes übernommen. Sahen Sie für die Übernahme hauptamtlicher MfS-Mitarbeiter eine Notwendigkeit?
Ehrlich gesagt: Nein.
Nicht mal bei einem Personenschützer?
Es wäre besser gewesen, die neuen Verwaltungen ohne MfS-Mitarbeiter aufzubauen. Denn es ging ja damals nicht nur darum, loyale Mitarbeiter zu haben – das waren viele davon bestimmt. Ein ganz wichtiges Motiv bei den Überprüfungen im öffentlichen Dienst war ja die Frage, ob es uns wieder gelingen wird, in der Öffentlichkeit Vertrauen in die Institutionen zu schaffen. Dazu gehörte auch, dass man auf hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter verzichtet.
Nun hat Brandenburg seine tot geglaubte Stasi-Debatte wieder. Liegt das auch daran, dass das Land einst von Manfred Stolpe, der selbst im Verdacht stand und steht, der Stasi als IM „Sekretär“ gedient zu haben, regiert wurde?
Stolpe war gewiss kein Freund von Überprüfungen. Aber jeder Ressortchef konnte eigene Maßstäbe anlegen. Ich habe das gemacht. Andere hatten diese Möglichkeit auch.
Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck, mit dem Sie einst zusammen für Bündnis 90/Grüne in den ersten Landtag eingezogen sind, hat am Montag gesagt, der Umgang mit der Stasi-Vergangenheit sei in Brandenburg „sinnvoll und richtig“ gewesen. Aus Ihrer Erfahrung: Hat er Recht?
Nein. Ehrlich gesagt nicht.
Gibt es für Sie eine Lehre aus der immer wiederkehrenden Stasi-Debatte in Brandenburg?
Wenn, dann die, dass Vergangenheiten, wenn man sich ihnen nicht offen stellt, zu Wiedergängern werden. Dauerhaft lässt sich nichts unter den Teppich kehren, das kommt immer wieder hoch – so wie jetzt in Brandenburg. Und das geht so lange, bis man sich dem offen und ehrlich gestellt hat.
Das Gespräch führte Peter Tiede
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