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POSITION: Vergleich statt Gleichsetzung

Unsere Erinnerungskultur erfordert einen Vergleich beider deutscher Diktaturen! Von Erardo Rautenberg

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Als ich mich im Juli 1992 von der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe in das Land Brandenburg abordnen ließ, um dort DDR-Systemunrecht strafrechtlich aufzuarbeiten, ohne durch Übereifer die Versäumnisse bei der Aufarbeitung des NS-Unrechts wett machen zu wollen, habe ich dies auch als einen Beitrag zu einer späteren bundesrepublikanischen Erinnerungskultur begriffen, die uns den Wert unseres demokratischen Rechtsstaats verdeutlichen würde.

Doch je näher das 20-jährige Jubiläum der friedlichen Revolution rückt, umso weiter scheinen wir von einer Erinnerungskultur entfernt zu sein, die durch einen differenzierenden Vergleich die Lehren aus beiden deutschen Diktaturen zieht. Exemplarisch wird dies deutlich an der aktuellen Diskussion über die Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes, die zu einem Verteilungskampf zwischen den Interessenvertretern der verschiedenen Opfergruppen zu eskalieren droht.

Die Fokussierung auf die Opferinteressen verstellt jedoch den Weg zu einer historisch korrekten Erinnerungskultur als wesentlicher Bestandteil wirksamer Bildungsarbeit. Denn das Leid von Opfern der NS- und der SED-Diktatur lässt sich in bestimmten Fällen sogar gleichsetzen, was aus der Perspektive der Opfer der SED-Diktatur, vor allem derer aus der stalinistischen Phase der DDR, zu der Fehleinschätzung einer Gleichsetzung der dieses Leid verursachenden Systeme führen kann. Die beiden deutschen Diktaturen dürfen aber wegen der Massenmorde der Nationalsozialisten keinesfalls gleichgesetzt werden, was das wesentliche Ergebnis ihres Vergleichs ist.

Diese Erkenntnis muss bei der Pflege unserer Erinnerungskultur sichtbar werden, durch die mit den Worten des stellvertretenden Vorsitzenden des Vorstands der Stiftung zur Aufarbeitung des SED-Unrechts, Prof. Bernd Faulenbach, weder eine Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen noch eine Bagatellisierung des SED-Unrechts erfolgen dürfe.

Viele Lehrer scheinen mir mit der Vermittlung einer derartigen Erinnerungskultur überfordert zu sein. Ihnen ist auch nicht damit geholfen, dass die Zahl der Erinnerungsstätten für die Opfer der NS-Diktatur einerseits und die der SED-Diktatur andererseits einfach erhöht wird, weil dort zwar Opferschicksale vermittelt werden können, aber keine befriedigende Antwort auf die Fragen der Schüler nach dem Unterschied zwischen den beiden Diktaturen und nach der – erschreckend vielen von ihnen unbekannten – Trennlinie zu unserer Demokratie gefunden werden kann. Geholfen werden könnte Lehrern und Schülern jedoch an „Orten mit doppelter Diktaturvergangenheit“.

Als einen solchen hat die Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ des Bundestags in ihrem Schlussbericht vom 10. Juni 1998 etwa die Stadt Brandenburg bezeichnet, wo sich nicht nur eine der größten Haftanstalten der DDR für politische Gefangene, sondern zuvor auch die zweitgrößte Hinrichtungsstätte des NS-Regimes befand und sich zudem Euthanasiemorde der Nationalsozialisten ereigneten. Das Vorhaben, diese drei Themenkomplexe unter Einsatz einer durchdachten Museumspädagogik in einem „Dokumentationszentrum Brandenburg an der Havel“ auf drei Ebenen darzustellen, wird aber vom brandenburgischen Kulturministerium abgelehnt, das dort stattdessen lediglich eine neue „Euthanasiegedenkstätte“ errichten will. Die verantwortlichen Politiker werden sich jedoch bei der Gestaltung unserer Erinnerungskultur auf Dauer nicht um den schwierigen Vergleich der beiden deutschen Diktaturen drücken können. Dies gilt umso mehr, als sich die Demokratie nach jüngsten Pressepublikationen weltweit in der Krise befinden soll und daher derzeit einer kritischen Hinterfragung ausgesetzt ist. Heraus kommen wird dabei nicht mehr als der viel zitierte Befund Winston Churchills, wonach die Demokratie eine schlechte Staatsform ist, es aber leider keine bessere gibt. Wir Deutsche können zu dieser Erkenntnis bereits durch einen vergleichenden Rückblick auf unsere beiden Diktaturen gelangen. Doch ohne die Pflege einer entsprechenden Erinnerungskultur wird dies vielen nicht gelingen.

Der Autor ist Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg

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