Von Alexander Fröhlich: Verlorenheit im grauen DDR-Alltag
Potsdamer Studenten veranstalten „Kleine Berlinale“ in Berlin / Junge Filmemacher East-West unter 30
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Berlin/Potsdam - Bevor sich ab Donnerstag die Großen der Filmbranche auf der 59. Berlinale“ tummeln, zeigt sich der internationale Nachwuchs beim Filmfestival „Emerge And See“ (Komm und sehe) im Berliner Filmtheater am Friedrichshain, das durchaus anspruchsvoll und im Jahr 20 nach dem Mauerfall auch mit einem Blick zurück auf die DDR.
Organisiert wird die „Kleine Berlinale“ seit mehreren Jahren von Studenten der „Europäischen Medienwissenschaft“ aus Potsdam. Gezeigt werden am Dienstag und Mittwoch jeweils von 19.30 bis 22 Uhr Kurzfilme von Studenten und Filmemacherm aus Europa, Israel und den USA.
Besonders spannend dürfte der erste Festivaltag mit dem Wettbewerb East-West mit Beiträgen von Filmemachern unter 30 sein, etwa über einen Arzt im zerbombten Bagdad, der schmerzlich abwägen muss, ob er noch Patienten ohne Geld behandeln kann. Oder einen Chinesen, der in Europa als Putzkraft arbeitet, wie auch über einen isrealischen Scharfschützer, der statt zu schießen sich in der zerstörten Welt eines palästinensischen Mädchens verliert.
Auch zum 20. Jubiläumsjahr des Mauerfalls hält der Wettbewerb etwas bereit: Zum Beispiel eine dokumentarische Kollage über den Berliner Fotografen Harald Hauswald und dessen Stasi-Akten. Der Filmemacher Marc Thümmler hat für seine Projektarbeit an der Universität und der Fachhochschule Potsdam Hauswalds Fotos von der tristen DDR mit vertonten Berichten der Stasi über Hauswald unterlegt. Heraus kam „Radfahrer“, unter diesem Decknamen observierte die Stasi den Fotografen.
Dessen Bilder passten so gar nicht ins Kunstkonzept der Kulturfunktionäre, die tatkräftige und fröhliche Menschen beim Aufbau des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden sehen wollten. Wer sich nicht an dieses Dogma hielt, bekam Probleme, bis hin zum Verbot von Werken – ob Bücher, Filme oder eben auch Bilder.
Auch Hauswald arbeitete bis 1989 unter solchen Umständen, weil er gerade nicht den angeblich neuen Menschen in der bunten, hellen Welt des Sozialismus ablichtete: Es waren DDR-Bürger auf Schwarz-Weiß gebannt vor grauen, baufälligen Hausfassaden und nicht vor den Platten des „sozialistischen Wohnungsbauprogramms“. Er zeigte Punk-Pärchen voller Lebensfreude, Friedensrockkonzerte vor dem Kirchenaltar, wütende Hooligans und im Gegensatz dazu Werktätige mit leerem Blick auf dem Heimweg in der U-Bahn oder schlaksig mit West-Fliegerbrille in FDJ-Uniform bei irgendeiner Demonstration.
Und Uniformen, immer wieder Militär und Polizei, selbst die Kleinsten fuhren beim Karussell im Panzer. Oder das Bild von der Mai-Demonstration 1987, als Fahnenträger vor Sturm und Regen flüchten und Hammer und Sichel im Chaos sinken lassen – „übertragene Wunschvorstellung des Reporters“ notierte ein Stasi-Mann, bescheinigte aber auch „raffiniert aufgenommene Motive“. Überhaupt versuchten die Spitzel sich in der Deutung nach Art eines Schulaufsatzes: „In der für Hauswald typischen Betrachtungsweise sollen die Fotos die Einsamkeit und Verlorenheit der Menschen im grauen DDR-Alltag widerspiegeln.“
Hauswald machte Bilder vom anderen Alltag, den das Regime gern verbarg – umso mehr, als sie in westdeutschen Medien wie Stern, taz, Zitty, Geo erschienen oder nur in Kirchen oder Privatwohnungen gezeigt wurden. So einer musste überwacht werden.
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