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Brandenburg: Versuchter Mord

Polizei fahndet nach den Tätern, die versuchten, einen Obdachlosen anzuzünden

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Berlin - Wieder eine grausame Tat, wieder in der Berliner U-Bahnlinie 8: Es ist Heiligabend, zwei Uhr früh im U-Bahnhof Schönleinstraße. Jugendliche zündeln an der Kleidung eines mit Zeitungen zugedeckten Obdachlosen. Zeugen schreiten sofort ein, die Täter flüchten unerkannt. Die grausame Tat geschah direkt im Blickfeld einer Videokamera der BVG. Bereits einen Tag später veröffentlichte die Polizei Fotos der sieben Tatverdächtigen und ein Video. Die Kripo hat Ermittlungen übernommen – und zwar wegen versuchten Mordes.

Nach Polizeiangaben sei es nur dem „sofortigen und beherzten Eingreifen mehrerer Zeugen zu verdanken“, dass der Obdachlose unverletzt blieb. Die sieben Unbekannten hätten an dem schlafenden 37-Jährigen gezündelt, Passanten löschten dann sofort die brennenden Zeitungen, mit denen sich der alkoholisierte Mann zugedeckt hatte. Ein U-Bahnfahrer, der das Geschehen beobachtet hatte, eilte mit einem Feuerlöscher zu Hilfe.

„In diesen Tagen sollten wir Nächstenliebe erwarten. Stattdessen erleben wir Menschenverachtung“, sagte Innensenator Andreas Geisel am Sonntag. „Ich bin entsetzt und danke allen, die beherzt geholfen haben. Das ist wahre Mitmenschlichkeit.“ Einmalig ist die Tat nicht, zuletzt hatte sich eine solche Zündelei im Weddinger Trinkermilieu ereignet: Im September 2015 hatte ein betrunkenes Pärchen am Nettelbeckplatz den Schlafsack eines ebenfalls betrunkenen Obdachlosen angezündet. Zeugen hatten eingegriffen, der Mann blieb unverletzt. Auch in diesem Fall hatte eine Mordkommission wegen eines versuchten Tötungsdelikts ermittelt. Das Pärchen war festgenommen worden.

Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmission Zoo, sagte, dass Angriffe auf Obdachlose nicht zugenommen hätten. „Was passiert ist, tut mir sehr leid. Aber aus meiner Sicht häuft sich das nicht.“ In Berlin haben mehrere Tausend Menschen keine Wohnung. Die genaue Zahl ist unbekannt – geschätzt wird sie auf 3000 bis 10 000. Die Berliner Kältehilfe bietet in diesem Winter rund 700 Schlafplätze. Die BVG öffnet in jedem Winter nachts einige U-Bahnhöfe für Schutz- und Wärmesuchende, und zwar Schillingstraße (U5), Südstern (U7) und Hansaplatz (U9). In der Weihnachtsnacht war auf der U8 aber regulär Betrieb, da fast alle Linien während der Feiertage rund um die Uhr rollten.

Nach Angaben der Polizei ist die Zahl der Gewalttaten in der U-Bahn von 2013 bis 2015 um zehn Prozent auf 2200 gestiegen. Die BVG dagegen führt eine eigene Statistik mit Gewalttaten gegen Fahrgäste. Hier habe es 2011 einen Höhepunkt mit 880 Taten gegeben. 2015 waren es noch 484. Die Zahlen sind deutlich niedriger als die der Polizei, da die BVG nur Gewalttaten zählt, bei denen Fahrgäste körperlich berührt wurden, Nötigung oder Bedrohung fallen also heraus. „Es spricht sich herum, dass die Bahnhöfe videoüberwacht sind“, sagte Reetz. Die BVG speichert alle Aufnahmen 48 Stunden, danach werden sie überschrieben. Auf Anforderung der Polizei werden Aufzeichnungen kopiert und den Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt. So war vor Kurzem auch der „U-Bahn-Treter von Neukölln“ ermittelt worden. Der 27-jährige Bulgare soll im Oktober eine junge Frau im Bahnhof Hermannstraße hinterrücks mit einem wuchtigen Tritt in den Rücken die Treppe heruntergetreten haben. Das Video hatte international Entsetzen ausgelöst. Die Polizei hatte es erst Wochen nach der Tat offiziell veröffentlicht, nachdem Boulevardmedien es bereits gezeigt hatten. Die Polizei war anschließend kritisiert worden, weil zwischen Tat und Öffentlichkeitsfahndung zu viel Zeit verstrichen sei. Die Behörde verwies darauf, dass öffentlich erst gefahndet werden dürfe, wenn alle anderen Ermittlungsansätze erfolglos gewesen seien. Grund sind die Persönlichkeitsrechte des Täters, in die durch eine Veröffentlichung von Bildern massiv eingegriffen wird. Ein Richter muss jede Fotofahndung genehmigen.

Alle 173 U-Bahnhöfe der BVG sind kameraüberwacht, auf 45 Stationen gibt es mittlerweile Kameras der zweiten Generation: schwenkbar, zoombar und hochauflösend. Nach Angaben der BVG sind bis zu 30 Kameras in aufgerüsteten Bahnhöfen wie der  Schönleinstraße installiert. Jörn Hasselmann (mit dpa)

Jörn Hasselmann (mit dpa)

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