Brandenburg: Vom Nazi zum Demokratie-Fan
Matthias Adrian galt sogar unter Nazis als radikal – heute spricht er in Schulklassen über Nationalsozialismus, Fremdenfeindlichkeit, seine Vergangenheit und schüttelt den Kopf über den Bildungsstand mancher Schüler
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Berlin - „Wenn ich in der neunten Klasse erst erklären muss, was der Holocaust war...“ Matthias Adrian kneift sich an die Nasenwurzel. Er spricht nicht weiter, aber was er sagen will, scheint klar. Dass er dann nämlich keine Zeit für seine eigentliche Arbeit hat. Adrian, 32 Jahre alt, ist Aussteiger. Von Berufs wegen, könnte man sagen. Er arbeitet bei Exit, einer Initiative aus Berlin, die es sich zur Aufgabe macht, Aussteigern aus der Nazi-Szene eine Perspektive zu bieten. Adrian, weiß wie wichtig solch eine Plattform ist. Er war ja selbst einer „von denen“. Und nicht gerade zimperlich.
Adrian war nach eigenen Angaben so überzeugt von der Nazi-Ideologie, von der Verschwörung des Weltjudentums und „unserer Sache“, dass er selbst in den eigenen Reihen als radikal und umstritten galt. Bis der große Knick in seinem Leben kam. „Man steigt natürlich nicht von heute auf morgen aus“, sagt Adrian.
Bei ihm habe das von den ersten Zweifeln bis zu der eigenen Erkenntnis, auf der falschen Seite gestanden zu haben, etwa drei Monate gedauert. Das war im Jahr 2001. Heute, sieben Jahre später, sitzt der in Mannheim geborene Adrian in seinem kleinen Büro im Berliner Stadtteil Pankow. Fenster zum Hof, Bücher und Ordner drängen sich im Schrank und Papiere stapeln sich auf dem Tisch.
Ein ruhiger Typ, der da hinter dem großen Monitor sitzt, könnte man meinen. So einer soll mal in der Naziszene ein Bestimmer gewesen sein? Doch Adrian kann auch anders, wie er zeigt. Wenn er von einer Sache überzeugt ist, dann leuchten seine Augen auf, dann stellt er herausfordernde Fragen. „Was ist denn das überhaupt – ein Nazi?“ fragt er in seinem hessischen Dialekt. „Ist der wirklich ausländerfeindlich?“ Adrian wirkt überzeugend. Das hat er schon damals drauf gehabt und hat es wohl nicht abgelegt, ist man geneigt zu denken.
Wenn er an sein altes Leben denkt, kommt der 32-Jährige nicht umhin, sich immer wieder dorthin zu tippen, wo früher sein Seitenscheitel saß: „Wir haben ja geglaubt, dass die Massen kurz vor einer Revolution stehen“, sagt Adrian, „Und dass wir nur den Funken übertragen müssen.“ Paranoide Ausmaße habe diese Überzeugung angenommen, so dass er und seine Anhänger sich auf Schritt und Tritt verfolgt gesehen haben: „Jedes Mal, wenn es im Handy geknackt hat“, könnte es der israelische Geheimdienst Mossad gewesen sein.
In seiner Biografie, die in einer Broschüre nachlesbar ist, erklärt Adrian, wie er allmählich zu seinen Ansichten kam: Die Geschichten des Großvaters, dessen Bruder von „italienischen Partisanen feige erschossen wurde“; das Interesse später als kleiner Junge an Waffen und Militär; die Spielzeugsoldaten, die nur noch deutsche Uniformen trugen; die erste rechte Zeitung von einem Schützenvereinsfreund des Vaters; die erste rechte Jugendclique; und wie er anfängt, selbst aktiv zu werden, indem er im Büro seines Vaters nachts Klebe-Etiketten produzierte. Mit Sprüchen wie „Breslau, Königsberg Stettin – deutsche Städte wie Berlin“. Mit 15 Jahren organisiert er Treffen mit einer Hand voll Gleichgesinnter und veranstaltet „Wehrsport-Geländeübungen“. Mit 21 Jahren wird er Mitglied bei der NPD und Anwärter bei den Jungen Nationaldemokraten (JN). An allem Schlechten dieser Welt kommen bei Matthias Adrian fortan die Juden infrage.
Die ersten Zweifel an der Szene kommen Adrian bei Treffen oder Fahrten zu Gedenkfeiertagen. Als freiwilliger Ordnungsdienstleiter trägt er die Mitverantwortung für den reibungslosen Ablauf von Demonstrationen. „Glatzendompteure wurden wir auch genannt“, sagt er. Betrunkene, bis unter den nicht vorhandenen Haaransatz tätowierte Skinheads kann er sich aber nicht als nationale Elite eines neuen Deutschlands vorstellen. Doch da sind ja noch die anderen, die einen gepflegten Seitenscheitel tragen wie er, die ernsthaft über „Volk, Rasse und germanische Mythologien“ debattierten. In seiner Biografie schreibt Matthias Adrian: Innerhalb eines halben Jahres wurde ich zu einem der radikalsten Antisemiten in der Neonaziszene, was mich selbst innerhalb der NPD/JN umstritten machte.
Diskussionen mit seiner damaligen Lebensgefährtin, die ebenfalls aus der Naziszene aussteigt, führen zu ersten Rissen in den knallharten Ansichten des ehemaligen Radikalen. „Der wirkliche Bruch kam schließlich“, so Adrian, „als ich mich genauer mit den Thesen des NSDAP-Chefideologen Albert Rosenberg auseinandersetzte.“ Der gibt als Ursprung der arischen Rasse das untergegangene Atlantis an. „Bitte?“, und wieder schüttelt Adrian verständnislos seinen Kopf. „... dass Leute solche Märchen glauben.“
Das was Adrian nach seinem Ausstieg erlebt, klingt wie die Beschreibung einer Erleuchtung. Er geht zur Polizei und legt ein umfassendes Geständnis ab. „Ich habe zum Glück nie jemanden verletzt“, sagt er. „Ich stand aber kurz vor dem politischen Terror.“ Das Auto eines Richters oder von Michel Friedman hätte womöglich brennen können. Stattdessen jede Menge Hakenkreuz-Schmierereien, sagt Adrian. Das Schlimmste sei die Schändung der Synagoge in Worms (Rheinland-Pfalz) gewesen.
Zu neun Monaten Gefängnis wird Adrian verurteilt. Die Strafe setzen die Richter für drei Jahre zur Bewährung aus. Erst nach dem Urteil, um nicht den Eindruck der Scheinheiligkeit zu erwecken, geht er zur jüdischen Gemeinde, und bittet um Entschuldigung. Wo aber sind die mächtigen, verschwörerischen Zionisten, von denen er immer glaubte, dass sie die Weltherrschaft an sich reißen wollen? „Da habe ich zum ersten Mal gesehen, dass sich diese Leute bedroht fühlen“, sagt Adrian. „Und zwar doppelt: von Neonazis und von Islamisten.“
Warum er nach Berlin gekommen ist? „Das Eis dort unten ist ganz schön dünn geworden“, sagt Adrian. „Niemand hat je geklingelt bei uns.“ Drohanrufe und Beleidigungs-Faxe habe es aber zuhauf gegeben. Kein Wunder. Zu dieser Zeit ist Adrian nicht nur einfach ein Aussteiger. Er fängt an, sich gegen die zu richten, die er mal als Kameraden bezeichnete. Zuerst in Internetforen, später in Initiativen mit Bürgern in aller Öffentlichkeit. Seit 2001 ist er Mitarbeiter beim Zentrum für Demokratische Kultur in Berlin, dem auch „Exit“, das Aussteigerportal für Neonazis, angehört. Er selbst bezeichnet sich heute als Demokratie-Fan.
Seit sieben Jahren fährt er zu Schulklassen. In Berlin, ins Umland nach Brandenburg oder bis nach Baden-Württemberg. Die Arbeit macht ihm großen Spaß, sagt er. Aber er ist auch manchmal regelrecht geschockt: Das Bildungs-Niveau während dieser Zeit sei spürbar gesunken, findet Adrian. „Es verschwindet Wissen“, sagt er mit einem warnenden Unterton in der Stimme. Ihm komme es so vor, als wenn „eine bildungsferne, proletarische Unterschicht entsteht“, die allenfalls lerne, wie man eine CNC-Maschine bedient. „Ethik und Humanismus spielen immer weniger eine Rolle.“
Andreas Wilhelm
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