Brandenburg: Vor den durchrasenden Zug gefallen
Justiz und Polizei prüfen Sicherheitsmängel auf Wünsdorfer Bahnhof. Auf dem zwei Meter breiten Bahnsteig starb eine 15-Jährige
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Wünsdorf - Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat nach dem tödlichen Unfall auf dem Bahnhof Wünsdorf (Teltow-Fläming) die Bundespolizei gebeten, zu ermitteln, ob ein strafbares Verhalten von Bahnbediensteten vorliegt. Zudem soll die Sicherheit auf dem Bahnsteig überprüft werden. Wie berichtet, war dort am Montag voriger Woche eine 15-Jährige getötet worden, weil sie von einem knapp zwei Meter breiten Bahnsteig vor einen Zug gefallen war. Die Berlinerin hatte auf den Regionalexpress nach Berlin gewartet. Dieser hatte jedoch Verspätung. Stattdessen fuhr ein anderer Personenzug mit 120 Kilometer pro Stunde durch. Laut Polizei erschrak das Mädchen derart, dass sie einen Schritt rückwärts machte und auf der anderen Bahnsteigseite von dem ebenfalls mit Tempo 120 durchfahrenden Vogtland-Express erfasst wurde. Dies hat ein Mann ausgesagt, der mit dem Mädchen auf den Zug wartete.
Auf dem Bahnsteig zwischen den beiden stark befahrenen Hauptgleisen hätten Caroline und der andere Fahrgast jedoch gar nicht stehen dürfen. Denn für einen Aufenthalt ist er viel zu schmal. Ermittelt wird nun, ob sich die Bahnhofsaufsicht falsch verhalten hat. Denn diese darf Fahrgäste nur auf den Bahnsteig lassen, wenn ein Zug nach Berlin hält und zudem kein Zug aus Berlin kommt. Denn das Gleis aus Berlin muss von Fahrgästen auf einer Art Trampelpfad überquert werden. Eine Unterführung oder eine Brücke gibt es nicht. Zum Einlass der Fahrgäste gibt es eine elektrisch von der Aufsicht zu öffnende Tür – die jedoch nach Angaben von Wünsdorfer Fahrgästen oft offensteht – gerüchteweise auch kurz vor dem Unfall. Eine Videoüberwachung gibt es nicht.
Wartende Fahrgäste wiesen gestern auf weitere Mängel hin: So ist die Bahnsteigkante, über die Caroline in den Tod stolperte, uneben und baufällig, zudem derzeit zur Hälfte vereist. Auch auf anderen Bahnsteigen an der Strecke war gestern nur ein schmaler Streifen eisfrei.
Der Unfall wäre wohl nicht geschehen, wenn die Bahnsteigkante mit einem Zaun gesichert wäre. Denn diese Bahnsteigseite wird nicht genutzt; Fahrgäste von ankommenden Zügen steigen zur anderen Seite auf einem anderen Bahnsteig aus. Matthias Oomen vom Fahrgastverband „Pro Bahn“ hält den Mittelbahnsteig für völlig ungeeignet. „Dort muss dringend was passieren.“ Nach gültiger Bauordnung müsste der Bahnsteig viel breiter sein. Jedoch haben bestehende Anlagen Bestandsschutz. Auch die Eisenbahnunfalluntersuchungsstelle des Bundes ist eingeschaltet. Die Bahn selbst wollte sich wegen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht äußern. Nach Angaben des Eisenbahnbundesamtes ist die Deutsche Bahn für die Sicherheit verantwortlich.
Unklar ist auch, ob es Durchsagen gegeben hat. Carolines Zug sollte um 18.44 Uhr abfahren, der Unfall geschah um 18.45 Uhr. Woher sollte das Mädchen wissen, dass der heranrasende Zug nicht ihrer ist? Ebenfalls unklar ist, ob die Aufsicht überhaupt wusste, dass ein anderer Zug kommt, der nicht hält.
Die Bundespolizei hat nun von der Bahn alle Unterlagen zum Bahnhof angefordert. Geprüft wird auch, ob die Beschilderung ausreichend ist. Nur am Zugang hängt ein Schild: „Tor wird durch Bahnmitarbeiter zu den Zügen geöffnet“. Dass man nach Öffnung über ein Gleis eilen muss, um den schmalen Bahnsteig zu erreichen, steht nirgendwo. Auf dem etwa 1,90 Meter schmalen Bahnsteig gibt es keinerlei Informationen, Tafeln oder Hinweise – auch nicht darauf, dass der Aufenthalt verboten ist, schimpfte eine Wartende gestern.
Das Mädchen kannte den Bahnhof gut, ihre Mutter lebt in der Kleinstadt. Wie es in Ermittlerkreisen hieß, gibt es keinerlei Hinweise, dass sich das Mädchen falsch verhalten hat, weder sei Alkohol im Spiel gewesen, noch soll Caroline Kopfhörer getragen haben. Jörn Hasselmann
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