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Brandenburg: Vorfahrt für den Papst – die Gegner gingen zu Fuß
Viele Straßen in der Innenstadt blieben gesperrt, der Verkehr kam zum Erliegen. Tausende Menschen nahmen an Protestmarsch teil
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Berlin - So rigoros ist die Berliner Innenstadt selten für einen Staatsbesucher abgeriegelt worden. 6500 Polizisten sperrten am Donnerstag ganze Viertel für den Verkehr – sowohl für Auto- und Radfahrer als auch für Fußgänger und sehr viel weiträumiger als zuvor angekündigt. Seit dem Vormittag war der Bereich zwischen Schloss Bellevue und Friedrichstraße abgeriegelt. Touristen durften nicht mehr durchs Brandenburger Tor, die Wilhelmstraße war komplett gesperrt. Andernorts (Friedrichstraße, Torstraße, Invalidenstraße) war Verkehrschaos.
Die BVG kapitulierte am frühen Nachmittag vor dem Stillstand und zog viele Linien aus Mitte zurück, hieß es in der Leitstelle. Mittags steckten Straßenbahnen in der Friedrichstraße regelrecht fest, die Fahrgäste stiegen entnervt aus, weil es nicht voranging. Die BVG machte den Individualverkehr verantwortlich, niemand wollte offensichtlich aufs Auto verzichten. Die BVG-Internetseite nannte am Nachmittag 32 Linien von Bus und Tram, die umgeleitet oder eingestellt worden waren. Wie immer bei Großeinsätzen standen zwar hunderte Polizisten an den Sperrgittern, für das Regeln des Verkehrs fühlte sich aber niemand zuständig. Selbst der Tiergartentunnel, den die Polizei sonst immer als sichere Umfahrungsmöglichkeit bei Demos oder Staatsbesuchen empfiehlt, wurde zeitweise gesperrt. Zuvor nicht angekündigte Sperrungen gab es auch, weil der Papst am Nachmittag zwischen zwei offiziellen Terminen zu einer kurzen Mittagspause in die katholische Nuntiatur am Südstern fuhr. Dabei gab es in Kreuzberg erste Buhrufe von Passanten. Zudem beklagten sich viele Anwohner des Südsterns über die Absperrungen. Während der Papst die Nuntiatur betrat und verließ, durften nicht einmal Mieter ihre Häuser an der Lilienthalstraße verlassen.
Schon die erste Fahrt des Papstes vom Flughafen Tegel zum Schloss Bellevue brachte den Verkehr in Berlin für mehr als eine halbe Stunde zum Erliegen. Etwa 200 Polizeiautos begleiteten zunächst die Fahrzeuge der kirchlichen Entourage, anschließend die des Bundespräsidenten sowie eine der mitreisenden Journalisten aus Rom. Zwischen jeder Kolonne lagen fünf bis zehn Minuten. Alleine die Sicherheit für den Papst bestand aus etwa 100 Fahrzeugen, darunter die aus 15 Motorrädern bestehene Ehreneskorte in Pfeilform für den Staatsgast. Bereitschaftspolizisten hatten Passanten und Touristen schon um 10 Uhr aufgefordert, die Gehwege am Großen Stern zu räumen, wer Glück hatte, fand im Tiergarten ein Plätzchen zum Gucken. Die Siegessäule war ganztägig geschlossen, auch die Tunnel zur Mittelinsel. An allen gesperrten Straßen standen ganze Trupps von Polizisten aus fast allen Bundesländern, so viele waren seit dem Bush-Besuch und der Fußball-WM nicht mehr im Einsatz gewesen. Dabei richtete sich die Sorge wohl eher auf Störungen durch Kirchengegner als auf die Gefahr eines terroristischen Anschlags. Zwar waren Präzisionsschützen auf den Dächern umliegender Häuser postiert, doch in der Wagenkolonne fuhren keine der martialisch wirkenden Teams mit Maschinengewehren auf Autodächern mit. Wo sich der Papst gerade aufhielt, ließ sich tagsüber sicher am Himmel lokalisieren, je nachdem, wo die Hubschrauber kreisten.
Die größte Demo begann am späten Nachmittag am Potsdamer Platz. Rund 9000 Menschen hatten sich dort versammelt, die unter dem unter dem Motto „Keine Macht den Dogmen“ zur Hedwigs-Kathedrale am Bebelplatz marschierten, um gegen die Sexualmoral des Vatikans zu demonstrieren. Die Veranstalter, ein Bündnis von knapp 70 Organisationen, initiiert vom Schwulen- und Lesbenverband, hatten allerdings deutlich mehr Teilnehmer erwartet. Bis Redaktionsschluss wurden keine Zwischenfälle bekannt. Nach Einschätzung des Staatsschutzes hatten sich bis zu 300 „gewaltsuchende“ Autonome (Kategorie „Rot“) in die Demo einreihen wollen.
Aus Sorge um die Sicherheit des Papstes hatte die Polizei den Gegnern den Start am Brandenburger Tor verboten. Das Verwaltungsgericht hatte dies bestätigt, die Sicherheit des Gastes rangiere vor dem Demonstrationsrecht. Erst am gestrigen Donnerstag meldete die linke Szene für den Abend am Südstern in unmittelbarer Nähe der päpstlichen Nuntiatur eine weitere Demo an: „Gegen die Einschränkung der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit im Dienste des reaktionären Papstes“.
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