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Zäher Indizienprozess: Polizeiboote bei den damaligen Ermittlungen zum sogenannten Maskenmann auf dem Storkower See.

© dpa

Brandenburg: Wann fällt die Maske?

Es ist einer der spektakulärsten Prozesse in der Region – und einer der langwierigsten. Wer hat Unternehmer Stefan T. mit einem Kajak auf eine Insel entführt? Welche Indizien könnten den Täter überführen? Stimmt die Version des Opfers überhaupt? Ein Gerichtsreport vom Maskenmann-Prozess

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Wo ist denn der Haltegriff? Es gab doch einen speziellen Haltegriff, da ist er ganz sicher, er hat sich ja daran festgeklammert. Also muss er jetzt auch da sein, irgendwo. Der Mann, der einen Bootsrumpf abtastet und einen Haltegriff am Heck sucht, trägt eine rote Winterjacke und feste Schuhe. Er kann nichts sehen, seine Augen sind verdeckt.

Er untersucht jetzt schon den vierten Bootsrumpf, nur mit den Fingern, immer auf der Suche nach dem richtigen Griff. Dreimal schon hatte er gesagt: „Nein, das war es nicht.“ Jetzt fingert der Mann an einem aufgebockten Kajak, immer wieder an der gleichen Stelle, an etwas, das sich wie ein Griff anfühlt. Er überlegt kurz, dann verkündet er: „Am ehesten ist es dieses Boot hier.“ Seine Stimme klingt leicht verzerrt; das liegt am Mikrofon, es nimmt nicht gut auf. Eine Kamera läuft auch, das alles hier ist offiziell. Die Kripo ermittelt, der Mann in der roten Jacke ist Zeuge und Opfer zugleich.

Irgendwann geht im Saal 107 des Landgerichts Frankfurt (Oder) wieder das Licht an, die Videovorführung ist zu Ende. Jetzt kann man noch ein Kajak sehen, ein abgenutztes, verschlissenes, das auf der Innenseite Streifen hat wie ein Zebra. Dieses Kajak liegt vor dem Richtertisch. Und es sieht in seiner Form dem Kajak, das der Mann im Film benannt hat, verdammt ähnlich. Und was war das jetzt? Diese Identifizierung? Ein Indiz, das den Angeklagten überführen könnte? Oder bloß eine Aussage, die eigentlich wenig hergibt?

Mit dem Kajak soll der Unternehmer Stefan T., der Mann mit der roten Jacke, auf eine Insel im Storkower See entführt worden sein. Im Gerichtssaal sitzt T. rechts neben dem Boot, ein Mann, der sich in seinen Stuhl drückt, der allein mit seiner Körpersprache Selbstbewusstsein ausdrückt. Schräg gegenüber, auf der anderen Seite des Kajaks, starrt ein Mann mit akkurat geschnittenem Bart entweder auf seinen Laptop oder macht sich Notizen. Er zeigt keine Gefühle, die Augen hinter den Brillengläsern sind nur Punkte. Das ist der Angeklagte. Mario K., ein früherer Dachdecker. Er soll das Kajak gefahren haben. Er soll T., den millionenschweren Unternehmer, 2012 entführt haben. Er soll auch 2011 zweimal einen Unternehmer in Bad Saarow überfallen und dabei dessen Frau misshandelt und einen Leibwächter zum Krüppel geschossen haben. Er soll.

Die Staatsanwaltschaft ist sich ziemlich sicher, dass Mario K. der Täter ist. Mario K. schweigt. Sein Verteidiger Axel Weimann hat für ihn geredet, einen einzigen Satz: „Ich war es nicht.“ Das ist die Frontstellung im Maskenmann-Prozess. So wird er sogar im Landgericht genannt.

Im Mai begann das Verfahren, es ist eine langwierige Angelegenheit. Der Täter war maskiert, niemand hat sein Gesicht gesehen, es geht jetzt um Merkmale wie Körpergröße, Kopfform, Gangbild, schwammige Details. Es gibt nur viele Indizien. Aber führen die zu Mario K.?

Dorina Dubrau ist die Anklägerin, eine junge Staatsanwältin. Jetzt sitzt sie in der Cafeteria des Gerichts und seufzt: „Es ist ein schwieriger Prozess, es kommt auf viele Details an.“ In fast 400 Bänden sind die Ermittlungsergebnisse der Polizei protokolliert. „Wir hatten selten so viele Bände wie in diesem Prozess“, sagt Dorina Dubrau. Die Anklageschrift umfasst 210 Seiten.

Indizien, Puzzlestücke, aus Tausenden Einzelteilen muss man ein Bild formen. Aber niemand weiß, ob die Teile zu einem stimmigen Bild führen. Eines der Puzzlestücke, an das sich die Staatsanwaltschaft klammert, ist zum Beispiel die Insel, auf der T. gefesselt fror. Der Angeklagte habe auch auf einer Insel gelebt, sagt Dubrau. „Wenn man die ansieht, ist das 1:1 zu einem Tatort.“ Und der Täter habe ein Kajak benutzt. „Das ist sehr ungewöhnlich. Ich kenne keinen Fall, in dem ein Kajak Tatmittel war“, sagt sie. Mario K. hatte früher ein Kajak eingesetzt. Damals, als er noch Jachten ausgeraubt und angezündet hatte. Noch ein Puzzlestück: „Mario K. ist generell ein spurenvermeidender Mensch. Man hat in seiner Wohnung nichts, gar nichts gefunden.“ Weiteres Indiz für die Ankläger: die Kopfform. Die Frau des Unternehmers P. sagte, der Täter habe eine ungewöhnliche Kopfform gehabt und ein abstehendes linkes Ohr – wie Mario K., so die Staatsanwaltschaft.

Aber der Prozess verliert sich in den vielen Details, das ist mühsam, anstrengend, manchmal wenig effektiv. Zeugen treten in Kompaniestärke auf, sie reden, überlegen, zweifeln. Oft fragt man sich, was sie denn nun zur Wahrheitsfindung beigetragen haben. Wie bedeutsam ist der Auftritt des älteren Ehepaars, das an einem Uferstück ein Kajak gesehen hat? Die Frau legt sich nicht fest, der Mann ist sich nicht sicher. Und selbst wenn es das Boot gewesen sein sollte? Was sagt das aus?

Ein Experte für Hundehaare aus Österreich wird extra eingeflogen. Am Tatort im Schilf wurde ein Hundehaar gefunden. Gehört es dem Hund von K.s Schwester? Der Gutachter hatte das Haar untersucht, das Ergebnis ist ernüchternd. Eine konkrete Bestimmung ist unmöglich. Am Ende erklärt der Zeuge, dass er gerne Geld für seine Übernachtung hätte.

Weil viele Indizien so schwammig sind, kann man darüber endlos diskutieren. Für Axel Weimann und seinen Kollegen Christian Lödden sind die Indizien natürlich untauglich, zumindest wenn sie die Schuld ihres Mandanten beweisen sollen. Am Tatort wurde eine Decke mit zwei DNA-Spuren gefunden. Die Decke stammt von einem Reifenhändler. Mario K. wohnt 600 Meter entfernt von dessen Firma. Keine DNA-Spur gehört zu ihm. „Die Staatsanwaltschaft stellt eine Verbindung der Decke zu unserem Mandaten her“, sagt Lödden. „Obwohl dort Tausende Menschen in Plattenbauten wohnen.“ Und was soll überhaupt der Satz vom „spurenvermeidenden Verhalten“? K. habe seine Wohnung nach Ende des Mietvertrags übergeben. „Natürlich hat er sauber gemacht.“

Zu den Fragen, die sich bedeutsam vom Klein-Klein der Indizienanalyse abheben, gehört der Punkt: Hat der Unternehmer T. Teile seiner Entführung falsch dargestellt? Oder gar erfunden? Natürlich nicht, sagt die Staatsanwaltschaft. Doch Lödden sagt: „Wir müssen feststellen, dass bestimmte Punkte nicht zusammenpassen.“

Da ist zum Beispiel die Flucht. Der Unternehmer T. sagt, er habe sich nach Stunden in der Kälte selber befreit und sei dann auf Socken durch das Sumpfgebiet gehetzt, bis er bei einem Rentner-Ehepaar geklingelt habe. „Dass er das körperlich unbeschadet überstanden hat, dass er nach all den Strapazen zu so etwas fähig war, das ist ungewöhnlich“, meint Weimann. Ein Rechtsmediziner untersuchte das Opfer Monate nach der Tat und bezog in seinem Gutachten auch Angaben eines Notarztes ein. Der hatte T. direkt nach der Befreiung untersucht. Der Gerichtsmediziner hatte keine Anzeichen schwerster Unterkühlung oder Verletzungen festgestellt. „Es gibt nur geringe Anzeichen für den von T. geschilderten Tatablauf“, so der Gutachter. Allerdings: Für unmöglich hält er die Schilderung auch nicht.

Staatsanwältin Dubrau bleibt bei diesem Punkt gelassen. Sie sei selber durch das Gelände marschiert, ebenso viele Polizisten, keiner habe Verletzungen davongetragen, also könne die Version von T. sehr wohl wahr sein.

Auch die Polizeiarbeit wird im Prozess kritisch beleuchtet. Hat sich die Polizei, wegen des Erfolgsdrucks zu früh auf Mario K. als mutmaßlichen Täter festgelegt? Ein Ermittler hat sich angezeigt wegen „möglicher Strafvereitelung im Amt“. Widersprüche in den Aussagen eines Opfers seien vom Chef der Soko bewusst ignoriert worden. Ermittler sollen angewiesen worden sein, kritische Fragen nicht zu stellen. Auch dieser Punkt wird im Prozess untersucht.

Mario K. dürfte auch in Zukunft schweigen. „Was soll er auch sagen?“, fragt Weimann. „Er könnte ja nur sagen, dass er es nicht war. Und das hat er bereits getan.“

Früher, vor dem Prozess, hatte er mehr geredet. Damals, als er Kripo-Beamten gegenübersaß. Er zeigte sogar Mitgefühl; ist ja auch schwer, solche Taten aufzuklären. Einer der Polizisten erinnert sich im Saal 107 an Mario K.: „Er wünschte uns viel Glück bei der Suche nach dem Täter.“ Mario K. tippt dabei auf die Tasten.

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