Brandenburg: „Was ein Geständnis ist, entscheidet der Richter“
Die Justiz hält das Vorgehen des Prignitzer Jugendamtes in einem Misshandlungsfall für nicht haltbar – doch das weist alles von sich
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Potsdam/Perleberg - Das Prignitzer Landratsamt hat am gestrigen Dienstag die schweren Vorwürfe der Justiz im Fall einer Kindesmisshandlung zurückgewiesen. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin und das Amtsgericht Perleberg werfen dem Kreisjugendamt vor, die Ermittlungen und den Prozess gegen einen Vater behindert zu haben – und bleiben bei ihren Vorwürfen. Gegen eine Mitarbeiterin des Jugendamts wird ermittelt. Hintergrund ist ein Verfahren gegen einen Vater, der am 20. Juni vor dem Amtsgericht Perleberg wegen Körperverletzung und Misshandlung von Schutzbefohlenen zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt wurde.
Nach Ansicht von Staatsanwaltschaft und Amtsgericht ist das Verfahren gegen den Vater, Sven S., verzögert worden, weil das Amt sich weigerte, den Namen des Hinweisgebers zum Fall preiszugeben. Erst durch einen Beschlagnahmebeschluss kam das Gericht an die ungeschwärzten Akten – und den Zeugen.
Prignitz-Landrat Hans Lange (CDU) stellte sich nun vor seine Mitarbeiter. „Es erschließt sich in keiner Weise, weshalb die Schwärzung des Namens des Anzeigenden zu einer Verzögerung des Strafverfahrens geführt haben soll, zumal der Täter zu jedem Zeitpunkt geständig gewesen ist“, erklärte Lange am Dienstag in einer zweiseitigen Mitteilung. „Eine umfassendere und weitergehende Tätigkeit des Jugendamtes als hier geschehen ist kaum denkbar.“ Die Chefs der Staatsanwaltschaft Neuruppin, Gerd Schnittcher, und des Amtsgerichts Perleberg, Frank Jüttner, reagierten fassungslos auf die Erklärung des Prignitzer Landrats: „Was ein Geständnis ist, das entscheidet nicht das Jugendamt, sondern der Richter“, sagte Jüttner. Beim Familiengericht habe das Amt gar falsche Angaben gemacht.
Nach der Aktenlage hat Sven S. im September 2011 bei seinem Sohn mit Klebeband eiskalte Kühlakkus unter den nackten Füßen befestigt – als Strafe. Die Kinder der Familie seien regelmäßig eingesperrt gewesen. Das Amtsgericht Perleberg stellte in seinem Urteil fest, „dass der Junge schwere Erfrierungen und Blasen davongetragen hat, letzlich nicht mehr laufen konnte“. Am 8. November 2011 hatte das Jugendamt am Familiengericht in Perleberg eine einstweilige Anordnung auf Übertragung des Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrechts beantragt. Dem gab das Gericht am 9. November statt und ordnete wegen der Gefahr für das Kind die sofortige Vollziehung an, der heute Neunjährige kam in ein Heim.
Im Antrag an das Familiengericht hatte das Jugendamt behauptet, es berufe sich auf einen anonymen Hinweisgeber. Tatsächlich aber war in einem Gesprächsvermerk des Jugendamtes der Name des Zeugen vermerkt. Seit Februar 2012 aber weigerte sich das Jugendamt, Polizei und Staatsanwaltschaft den Namens des Hinweisgebers zu nennen, und schwärzte die Akten – mit Hinweis auf ein Geständnis des Vaters vor dem Familiengericht und aus Datenschutzgründen. Erst durch den Zeugen habe dem Vater aber im Strafverfahren nachgewiesen werden können, dass es nicht nur um einfache Körperverletzung, sondern um eine langjährige Erziehungsmethode handelte, so Schnittcher.
Landrat Lange sagte, der Hinweisgeber habe Angst vor dem Vater gehabt, der „möglicherweise ein gewalttätiger Rechtsextremist“ sei. Die Staatsanwaltschaft weiß davon nichts. Er sei wegen Gewaltdelikten vorbestraft und sitzt derzeit wegen Beleidigung und Trunkenheit im Strafenverkehr ein.
Zudem beruft sich das Jugendamt auf die Landesdatenschutzbeauftragte. Diese habe darauf hingewiesen, dass die Akten nur geschwärzt an die Ermittler herausgegeben werden dürften, um die Identität des Hinweisgebers zu schützen. Staatsanwaltschaft Schnittcher : „ Über den Schutz eines Zeugen entscheidet nicht das Jugendamt, sondern die Staatsanwaltschaft und das Gericht.“
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