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Eine nachdenkliche Ministerin. Nach dem Bericht der Untersuchungskommission ordnete Martina Münch die Schließung der Haasenburg-Heime an.

© Ralf Hirschberger/dpa

Brandenburg: „Was man als Straftat bezeichnen kann“ Die von Bildungsministerin Münch eingesetzte Expertenkommission stellt eklatante Missstände

in den Heimen der Haasenburg GmbH fest – eine Dokumentation

Stand:

124 Seiten plus fünf Aktenordner Dokumentation – so umfangreich ist der Bericht der Untersuchungskommission zu den Missständen in den drei Heimen der Haasenburg GmbH . Wir dokumentieren Kernaussagen des Kommissionsvorsitzenden Martin Hoffmann und des Berichts:

Es gab Maßnahmen, die man als Straftaten bezeichnen kann.

Konzept und Alltagshandeln sind schematisch und nicht am Kind beziehungsweise Jugendlichen und an den Beziehungen orientiert. Das Verstehen der Biographie der Kinder und Jugendlichen mit ihren Erfahrungen von chronischen und multiplen Belastungen und Beziehungsabbrüchen ist unzureichend.

Die Kinder und Jugendlichen werden als Objekte korrektiver Maßnahmen (Umerziehung) behandelt.

Anlässe, Ausmaß und Prozessgestaltung des Einsatzes von Zwangsmitteln erscheinen uns häufig nicht geeignet, nicht notwendig und hinsichtlich der Intensität von Begrenzungen, Unterwerfung und Rechtseinschränkung nicht vertretbar. Willkür und Bestrafung sind unzulässig ausgeprägt.

In den Einrichtungen herrscht kein hinreichend freundlicher und wohlwollender Geist, der Kindern und Jugendlichen das Gefühl eines guten Hauses zu vermitteln vermag, das gegebenenfalls Zumutungen und Härten bereithält und zur Anwendung bringt, das aber auch Wärme, Beziehungsangebote und sinntragende Entschädigungen für erlebte Unterwerfung beinhaltet.

Kinder- und Jugendpsychotherapeutische sowie weitere therapeutische Versorgung wird in Aussicht gestellt, aber nicht hinreichend eingehalten. Auflagen des Landesjugendamtes (...) fanden keine Umsetzung.

Die Personalqualität korrespondiert ungünstig mit den Anforderungen, die eine Pädagogik mit den schwierigen Kindern und Jugendlichen mit sich bringt. Es gibt Hinweise, dass Personalausstattung und -qualifizierung nicht durchgängig den Auflagen des Landesjugendamtes entsprachen.

Es besteht eine große Diskrepanz zwischen wohlformulierten Papieren und alltäglicher Praxis.

Die überwiegenden Äußerungen der Jungen und Mädchen, die wir gehört und gesprochen haben, wurden beherrscht vom Erleben subjektiver Ungerechtigkeit, von Bevormundung, von Zwang. Gegenüber diesen jungen Menschen, die sich mehrheitlich als Opfer öffentlicher Erziehung fühlen, ist keinerlei Empathie erkennbar.

Die Pädagogik in den Haasenburg-Einrichtungen zeigte sich weitgehend unfähig zu kritischer Selbstreflexion.

Gegenwärtig bei der Haasenburg GmbH Beschäftigte äußerten sich zur Arbeit und zum Arbeitgeber ausschließlich positiv und überzeugt, alles richtig gemacht zu haben. Ehemalige äußerten sich überwiegend kritisch bis sehr kritisch und berichteten von massiven Missständen (zum Beispiel Übergriffen des Personals bei körperlichen Zwangsmaßnahmen und Verletzungen der Fürsorge- und Aufsichtspflicht seitens des Dienstgebers gegenüber dem Personal).

Der Kommission liegen Aussagen vor, die für eine größere Zahl von betreuten jungen Menschen und eine Vielzahl von Situationen gesichert erscheinen lassen, dass Begrenzungen von Pädagog/-innen auch mitprovoziert wurden und Bestrafungsabsichten für Verweigerungen wirksam wurden. Und dass Begrenzungen von Führungskräften sogar angewiesen wurden.

Wenn sich die Vorwürfe als zutreffend herausstellen, dann geht es um Misshandlung und Körperverletzung.

Begrenzungen wurden immer wieder geschildert, die nicht reaktiv auf Selbst- oder Femdgefährdungen vorgenommen wurden; dabei sei es auch zu Verletzungen gekommen.

Folgende Aspekte möchten wir als besonders heikel markieren: Ankommen in der Haasenburg GmbH mit einer großen Anzahl (berichtet wird von vier bis zehn) von Betreuungspersonen. Körperliche Durchsuchung und Abgabe persönlicher Dinge. Isolation (...) von Kindern und Jugendlichen in der Gruppe. Abschreiben der Hausordnung, Regeln etc. Toilettengang und Hygieneverrichtungen nach Anmeldung und unter persönlicher Kontrolle eines/r Betreuers/-in. Abstufung des Status bzw. Verlust von Privilegien. Begrenzungen durch Nahekommen eines oder mehrerer Betreuer/-innen, Festhalten. Antiaggressions-Maßnahme (AAM) als Fixierung durch mehrere Betreuer/-innen auf dem Boden (nachdem die Fixierliegen mit Gurten auf Liegen abgeschafft worden sind)

Ein anderer Vater schilderte, dass seine Tochter von 2002 bis 2008 in der Haasenburg GmbH untergebracht gewesen sei; er berichtete u. a. von Einschluss und Essensentzug. Er markierte auch eine für ihn „schlimme Situation“: Er sei zum 14. Geburtstag seiner Tochter aus großer Entfernung (400 Kilometer) angereist, um sie zu besuchen und zu beschenken. Die Geschenke seien ihr vor seinen Augen abgenommen und der Besuch auf fünf Minuten beschränkt worden, weil seine Tochter gegen die Hausordnung verstoßen habe.

Das Landesjugendamt hat die Haasenburg GmbH (...) intensiv beraten. Unsere Anhörung und die Akteneinsicht legen (...) den Schluss auf Mängel bei der Ausübung der Aufsicht über die Haasenburg GmbH durch alle beteiligten Instanzen nahe. Das Vorgehen und die Kommunikation zwischen örtlichen Jugendämtern, Landesjugendamt und Ministerium für Bildung, Jugend und Sport erwiesen sich in wesentlichen Teilen als unwirksam.

Das Vorliegen einer akuten Kindeswohlgefährdung in den Einrichtungen (...) war zur Zeit unserer Untersuchung nicht zu belegen. Die möglichen körperlichen Zwangsmaßnahmen stellen allerdings eine permanente Gefahrenquelle und potenzielle Gefährdung dar und sollten umgehend unterbunden werden.

Freiheitsentziehende Maßnahmen sowie Zwangsmaßnahmen in Jugendhilfeeinrichtungen werfen Rechtsfragen auf, die durch eine Gesetzesinitiative auf Bundesebene einer Klärung zugeführt werden sollten. (Auswahl: axf/thm)

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