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Brandenburg: „Wegziehen ist auch keine Lösung“

Dorf mit 28 Einwohnern, Stadt bald ohne Schule – die Entvölkerung ist in Brandenburg längst sichtbar

Von Sandra Dassler

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Basdorf/Freyenstein - Das Schild „Basdorf 2 Kilometer“ wird ergänzt durch den Hinweis, das es sich bei der kurz vor dem Zechliner See links abbiegenden Straße um eine Sackgasse handelt. Für die zwei Kilometer braucht der ungeübte Fahrer fünfzehn Minuten – und selbst dann leiden die Stoßdämpfer furchtbar.

Basdorf ist ein Ortsteil von Rheinsberg und besteht aus einer Straße, einem Denkmal und einem klitzekleinen Versammlungshaus. Das reicht völlig aus, weil in Basdorf nur 28 Menschen wohnen. Davon sind bis auf ein Schulkind alle Erwachsene, die meisten Rentner. Sie schauen argwöhnisch, wenn Fremde vor ihrem Hoftor parken. Ein älterer Mann, der gerade Werbung aus dem Briefkasten holt, will seinen Namen nicht nennen. Obwohl der am Briefkasten steht. Er lebt allein in dem Bauernhaus, seine Frau ist vor 15 Jahren gestorben, die Kinder in größere Orte gezogen – dorthin, wo es Arbeit gibt.

In Basdorf, erzählt der ältere Herr, gibt es keine Arbeit, keine Sparkasse, keine Kneipe. Wer zum Arzt will, muss mit dem Auto ins 18 Kilometer entfernte Rheinsberg oder ins 21 Kilometer entfernte Neuruppin fahren. Öffentliche Verkehrsmittel lohnen sich hier nicht. Aber zum Lebensmittelladen im fünf Kilometer entfernten Wallitz könne man laufen, sagt der ältere Herr. Oder radeln: „Und Samstags und Mittwochs kommt das Bäcker- und Schlachterauto.“

Am Wochenende kommen auch Städter nach Basdorf. Sie haben billig ein Häuschen als Wochenenddomizil erstanden und kämpfen nun mit den Einheimischen gegen das hier von der Bundeswehr geplante Bombodrom. Daran hat der ältere Herr gleich denken müssen, als er im Radio von den Prämien gehört hat, die Menschen bekommen sollen, wenn sie wegziehen aus solchen Orten wie Basdorf. „Wahrscheinlich wollen die bloß, dass alle Leute abhauen, damit sie hier das Bombodrom doch noch einrichten können“ – der ältere Herr tippt sich an die Stirn: „Ich geh“ hier nicht weg, da können die noch so viel zahlen. Ist doch meine Heimat, mir gefällt die Ruhe.“ Er stapft zurück zum Haus. „Und alle meine Kinder haben hier ihren Polterabend gefeiert“, brummt er.

Gegen Basdorf ist Freyenstein ein blühender Ort. Das mittelalterliche Städtchen ganz im Norden der Prignitz hat immerhin drei Gaststätten, eine Kirche, ein Schloss und sogar noch eine Sparkasse. Die ist berühmt, weil sie schon neunmal ausgeraubt wurde. Darunter mindestens einmal von der berüchtigten „Schlapphut-Bande“. „Wenn das Gebäude nicht der Sparkasse gehören würde, wäre sie längst weg“, sagt Dieter Trettin. Der 69-Jährige ist seit 1992 Bürgermeister von Freyenstein. Seit damals ist das Amt nur noch ehrenamtlich besetzt und man muss schon sehr idealistisch veranlagt sein, um auf diesem verlorenen Posten auszuharren.

Fast jeder vierte Freyensteiner hat seit der Wende die Stadt verlassen: von 1380 Einwohnern leben heute noch 1060 hier. Bäcker und Fleischer, die früher auch umliegende Dörfer und Touristen vom Plauer See versorgten, sind geschlossen. Und immer mehr Häuser stehen leer. „Allein in der Altstadt sind es dreißig“, sagt der Bürgermeister. „Die Kinder der einstigen Besitzer leben in Berlin oder Hamburg. Einige kommen noch zum Gardinen waschen her, weil ihnen der Anblick sonst zu peinlich ist.“

Eine Wegzugprämie würde nur dann einen Sinn machen, wenn sie hoch genug wäre, um den Leuten den Verlust des Hauses oder Grundstücks zu ersetzen, sagt Trettin. Die Hausbesitzer mussten für Straßenausbau oder Kanalisations-Anschluss viel Geld zahlen. Der Hinweis, dass damit der Wert der Grundstücke steige, klingt in ihren Ohren wie Hohn. Niemand hat in den vergangenen Jahren in Freyenstein ein Haus verkauft.

Wenn im nächsten Jahr auch noch die Schule schließt, werde alles noch schlimmer, sagt Bürgermeister Trettin. Nicht nur, weil dann schon die Sechsjährigen dann viele Kilometer fahren müssen. Noch problematischer sei, dass dann der Schulbus wegfalle, der bislang auch andere Bürger mitnimmt, die zum Arzt müssen. Zwar kommt zweimal die Woche eine Ärztin für ein paar Stunden nach Freyenstein, aber schon zum Ultraschall muss man nach Wittstock oder Neuruppin.

Für die Älteren ist es schwierig, besonders wenn sie kein Auto haben, sagt Anja Koppermann. Die 36-Jährige hat in Schleswig-Holstein Krankenschwester gelernt, wollte aber danach unbedingt wieder in Freyenstein leben. Sie hat Arbeit in der Nähe und ihre vierjährige Tochter Larissa sowie die zweijährigen Zwillinge Elisa und Felix werden in der Kita gut betreut: „Wegziehen kommt für mich nicht in Frage.“ Ihre Freundin Andrea Engel stimmt ihr zu: „Wir sind hier glücklich aufgewachsen und das sollen unsere Kinder auch“, sagt sie und schaut auf ihre Söhne, den einjährigen Malte und den fünfjährigen Arne. Der wird 2008 zum ersten Erstklässler-Jahrgang gehören, die nicht mehr in die Freyensteiner Schule gehen.

Noch ist Leben in dem typischen DDR-Bau aus den 60er Jahren. Bunte Kinderräder stehen im Hof. Jacken hängen an Haken in langen Fluren, aus der Turnhalle ertönt Geschrei. Im ersten Stock sitzt die Direktorin. Sie ist die einzige, die noch in Freyenstein wohnt. 50 Lehrer und Erzieher haben hier einmal 520 Kinder betreut. Lang her.

Immerhin soll das Gebäude weiter genutzt werden: Seit Jahren legen Archäologen das alte Freyenstein frei, das 1287 ganz in der Nähe der jetzigen Stadtgrenzen errichtet wurde. Deshalb entsteht hier – und das ist die große Hoffnung für Bürgermeister Dieter Trettin – ein Archäologischer Park, der bereits einige Exponate der alten Stadt zeigt und Touristen anlockt. In der Schule ist schon jetzt ein Informationszentrum eingerichtet.

Außerdem findet dort gerade ein vom Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz und der Uni Cottbus organisierter Studentenworkshop statt. Die Teilnehmer kommen aus Washington und Wien und entwickeln Ideen, um dem alten Städtchen eine Zukunft zu sichern. Dozent Leo Schmidt hat englische Freunde mitgebracht. Die verstehen das Problem nicht. „Wieso kommen die Berliner nicht übers Wochenende hierher?“ fragen sie. Läge Freyenstein eine Autostunde von London entfernt, es wäre ein Schmuckstück.

Die Studenten haben viele gute Ideen für Freyenstein entwickelt. So könnte man im Schloss Ausstellungen zeigen und den Archäologischen Park als unterirdische Höhentour anlegen, was viel mehr Touristen anlocken würde. Die jungen Leute haben die Diskussionen über die Wegzugprämien verfolgt. Ungläubig. „Wegziehen ist keine Lösung“, sagt eine Studentin. „Man gibt doch dann die gesamte Kulturlandschaft auf. Das ist fast genauso frevelhaft wie Buddha-Statuen in Afghanistan zu zerstören.“

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