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Nach Todesstich in Ludwigsfelde: Festnahme im Flüchtlingsheim: Wenn Brandenburgs SEK aufmuskelt
Am Einheitswochende hat ein jugendlicher Flüchtling einen anderen in Ludwigsfelde erstochen. Doch der Einsatz des Brandenburger SEK zu Festnahme des mutmaßlichen Täters wirft Fragen auf. Es geht um Polizeigewalt.
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Potsdam - Für die Jugendlichen in der Asylunterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Ludwigsfelde (Teltow-Fläming) bleibt dieser 2. Oktober in Erinnerung. Nicht nur, weil einer von ihnen, ein Afghane und ehemaliger Heimbewohner, zwei Kilometer entfernt in einem Park erstochen wurde. Und nicht nur weil einer der Mitbewohner seither wegen dringenden Tatverdachts in Untersuchungshaft sitzt. Sondern auch wegen der Umstände, wie Ebrima J., ein 17-Jähriger aus Gambia, in der vom Evangelischen Jugendwerk Teltow-Fläming betriebenen Flüchtlingsunterkunft festgenommen wurde.
Jetzt wird gegen Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Brandenburger Polizei wegen des Verdachts auf Körperverletzung im Amt ermittelt. Doch wie es dazu kam, dazu gehen die Angaben aus dem Heim und der Polizei weit auseinander. Auf jeden Fall geschah in dieser Nacht vom 2. auf den 3. Oktober, was Polizisten selbst gern als „aufmuskeln“ bezeichnen. Mal blicken lassen, was geht.
Der Junge aus Gambia tötete einen Afghanen
Unbestritten ist, dass Ebrima J., der im Frühjahr nach Deutschland kam, am Abend mit drei Afghanen unterwegs war. Das spätere Opfer kannte er, der Afghane ist 18 Jahre alt geworden, wohnte nicht mehr im Heim, wurde aber weiter betreut, um in Deutschland integriert zu werden, Bildung, Vorbereitung auf einen Beruf, Alltagshilfe. Die Gruppe war offenbar in Streit geraten. Ebrima J. stach mit einem spitzen Gegenstand, vermutlich ein Messer, zu. Das Opfer starb später in den Händen der Rettungskräfte. Die genauen Umstände und Hintergründe sind unklar.
Jedenfalls kehrte der Gambier an diesem Abend zurück in die Unterkunft. Es war ein Sonntag, wegen des Einheitsfeiertages durften die Bewohner länger wach bleiben als sonst. Von einer Auseinandersetzung war die Rede. Dass er jemanden getötet hatte, davon ging er nicht aus. Er erfuhr es erst einen Tag später von den Ermittlern.
Was sich dann abspielte, sorgt in dem Heim noch immer für Entrüstung. Selbst das Jugendministerium schaltete sich ein, weil die Asylheime für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge der Jugendhilfe unterstehen.
Beamte verschickten Personendaten per Whatsapp
Kurz nach 23 Uhr klingelte ein Polizeibeamter auf der Suche nach Ebrima J. in dem Heim. Er wurde hereingelassen, bekam von einem Betreuer die Akte des Gesuchten, machte Fotos von den Unterlagen, verschickte diese nach PNN-Informationen über das Chatprogramm „Whatsapp“ und kündigte das SEK an. Der Betreuer wies den Beamten auch darauf hin, dass Minderjährige ab 14 Jahren in dem Heim leben, also Schutzbefohlene in Obhut. Doch das interessierte die SEK-Beamten offenbar wenig.
Die schwer bewaffneten Beamten in Kampfmontur postierten sich vor der Tür des Zimmers von Ebrima J., zur gleichen Zeit waren dort fünf weitere Syrer. Die Beamten warfen eine Blendgranate hinein, es knallte, dann stürmten sie hinein. Die Schreie der Bewohner, allesamt Unbeteiligte, die mit dem Tötungsfall nichts zu tun hatten, hallten durch die Flure, das Zimmer war verwüstet.
Schläge mit dem Gewehrkolben an den Kopf
Nach PNN-Recherchen soll ein 15-Jähriger mindestens zwei Mal mit einem Gewehrkolben an den Kopf geschlagen worden sein, die anderen sollen Tritte in den Rücken, in die Knie bekommen haben. Einer der Jungen, der sich aus Angst in seine Decke verkrochen hatte, soll mit der Faust auf den Hinterkopf geschlagen worden sein. Auffällig ist auch: Die Handys der fünf unbeteiligten Kinder und Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren wurden zerstört. Ein Beamter soll einem der auf den Boden liegenden Jungen auf den Rücken getreten haben, ein anderer auf die Hand, in der er das Handy hielt. Einem anderen Jungen kam es so vor, als würde er erschossen, wie eine Exekution: Die Beamten sollen das Gewehr auf ihn gerichtet und gefordert haben: Hände hoch.
Selbst als Ebrima J. abgeführt war, machte das SEK weiter. Die Beamten führten die Syrer mit erhobenen Armen wie gefährliche Kriminelle in den Flur, dort mussten sie sich an die Wand stellen und fotografieren lassen. Sie zitterten, standen unter Schock, Panik. Der alarmierte Rettungswagen konnte nur einen Syrer ins Krankenhaus bringen, jenen, der nach den Schlägen mit dem Gewehrkolben an der Stirn blutete. Die anderen wurden von den Heimbetreuern ins Krankenhaus gebracht.
Polizei wollte "Solidaritätshandlungen" der Syrer verhindern
Die Frage ist nur, würden es deutsche Polizeibeamte auch so bei deutschen Familien machen? Würden sie Mutter zu Boden reißen, die Kinder ebenfalls, ihnen ein Gewehr vor die Nase halten? Wie bei einem Einsatz bei einer libanesischen Großfamilie, einem schwer kriminellen Clan in Berlin? Die Mitarbeiter im Heim sehen den SEK-Einsatz als unverhältnismäßig an, zumal dort Jugendliche mit diversen Traumata leben, Krieg, Gewalt, Vertreibung, Flucht. Den unbeteiligten Jugendlichen muss, so heißt es, der Einsatz wie ein Überfall der Polizei vorgekommen sein.
Hätte das alles nicht anders ablaufen können? Wäre ein milderes Mittel möglich gewesen? Das Polizeipräsidium erklärte auf PNN-Anfrage, diese Art des Zugriffs des SEK sei wegen des Tötungsdelikts, der zu erwartenden Aggressivität des Straftäters sowie der Bewaffnung des Täters zwingend erforderlich gewesen. Es habe von einer erheblichen Gefährlichkeit des Täters ausgegangen werden müssen, weitere "im Affekt begangene Handlungsweisen" seien zu erwarten gewesen. Hinzu kommt: Unklares Motiv.
Und die Syrer? Mussten fixiert werden, „um Angriffe des Täters zu verhindern, Solidaritätshandlungen Dritter zu vermeiden“ und Folgetaten wie eine Geiselnahme zu unterbinden. Das Präsidium spricht übrigens nur von zwei verletzten Syrern. Und hat sich die Polizei bei ihnen entschuldigt? Diese Frage blieb unbeantwortet.
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