Brandenburg: Wenn das Dorf absinkt und die Erlen sterben
Für den Braunkohletagebau Jänschwalde wird Grundwasser massiv abgepumpt. Rundherum sackt die Landschaft ab. Das hinterlässt Spuren.
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Jänschwalde - Die Braunkohle ist überall. In Heinersbrück und Jänschwalde (Spree-Neiße), wo rund 2300 Menschen leben, hört man die riesigen Bagger rattern, wie sie sich durch die Landschaft und in die rund 40 Meter tief liegenden und zehn Meter mächtigen Flöze graben. Gleich hinter einem Wäldchen liegt die Kante des Tagebaus Jänschwalde. Der schwedische Energiekonzern Vattenfall holt dort die Braunkohle aus der Erde, um sie im Kraftwerk zu verbrennen und Strom zu produzieren. Und auch sonst macht sich der Tagebau in den Dörfern bemerkbar – an den Häusern und den Straßen mit Rissen oder Sprüngen. Denn über große Flächen hat sich der Boden hier abgesenkt. Heinersbrück liegt jetzt zehn Zentimeter tiefer, Jänschwalde ganze zwölf Zentimeter, also etwa eine Handbreite.
Dass sich der Boden über mehrere Kilometer absenkt, ist sogar behördlich bestätigt. Regelmäßig wird die Landschaft über ein sogenanntes Höhenfestpunktnetz vermessen. „Wir wissen sehr genau, wie sich die Höhelage verändert“, sagt Klaus Freytag. Er ist Präsident des Landesbergbauamtes in Cottbus und kennt den Grund für die Absenkung. „Das ist erst einmal nicht verwunderlich und seit Jahrzehnten bekannt“, sagt Freytag. „Für die Tagebaue muss das Grundwasser über Brunnen abgesenkt werden. Dabei kann es zu großflächigen Geländeinstauchungen kommen. Das kann lokal mal mehr oder weniger sein. Und überall wo der Untergrund nicht homogen ist, kann es zu Schäden kommen.“
René Schuster vom Umweltverband Grüne Liga in Cottbus erklärt die geologischen Vorgänge so: „Wenn das Grundwasser herausgezogen wird, sackt die gesamt Sandschicht über der Kohle in sich zusammen. Wenn es nicht gleichmäßig sackt, etwa weil Torflinsen sich durch den Wasserentzug zersetzen oder bei Tonschichten, dann kommt es an der Oberfläche zu Bergschäden.“ Befinden sich Häuser und Straßen genau an diesen Bruchkanten, entstehen Risse und Sprünge.
Das wäre alles zunächst kein Problem. Denn das Bundesberggesetz sieht für derlei Schäden vor, dass der Verursacher dafür aufkommt. In diesem Fall wäre das also Vattenfall. Erst in der vergangenen Woche ließ sich der Braunkohleausschuss dazu Zahlen vorlegen. Rund um den Tagebau Jänschwalde meldeten Betroffene 513 Bergschäden, in 203 Fällen zahlte Vattenfall eine Entschädigung. 274 Anträge wurden abgelehnt, 36 sind noch in Bearbeitung. Darüber aber entscheidet allein Vattenfall selbst.
Das Bundesberggesetz macht hier klare Unterschiede zwischen untertägigem Bergbau und obertägigem Bergbau, wie es im Fachjargon heißt. Senkt sich die Erde rund um Bergwerke, in denen unter Tage Steinkohle, Erze oder Kalisalze abgebaut werden, dann muss der Betreiber für Schäden an Häusern und Straßen aufkommen. Und er muss beweisen, dass die Schäden möglicherweise nicht durch den Bergbau verursacht worden sind. Bei den Tagebauen aber, also beim Kohleabbau über Tage, liegt die Beweislast bei den Betroffenen. Vattenfall nimmt die Schäden zunächst auf und untersucht diese. Anhand der Ergebnisse erkennt der Energiekonzern einen Bergschaden an oder lehnt ihn ab. Vattenfallsprecher Thoralf Schirmer sagt, bei einer Ablehnung könne jeder Antragsteller Widerspruch einlegen und den Rechtsweg beschreiten. Konkret heißt das, Hausbesitzer müssen vor ein Zivilgericht ziehen, einen Anwalt einschalten und mit Prozesskosten rechnen, die bei einer Niederlage anfallen. Vattenfallsprecher Schirmer sagt: „In allen Fällen, in denen das bisher geschehen ist, hat das Gericht letztlich das Untersuchungsergebnis von Vattenfall bestätigt.“
Ist alles also halb so wild? Jörg Exler sagt, die Schäden hielten sich in Grenzen. Exler ist Chef des Bauamtes im Amt Peitz, zu dem Jänschwalde und Heinersbrück gehören. „Und ich müsste es wissen, wenn es erheblich viele Schäden gibt.“ Und nicht jeder Riss im Haus sei gleich ein Bergschaden. „Manche Häuser hier haben schon einiges auf dem Buckel und gar kein Fundament, da wurden einfach drei Schichten Steine in die Erde gelegt.“ Und Vattenfall sei kulant, alles werde schnellstens geprüft. Auch Klaus Freytag, der Chef des Landesbergbauamtes sagt, manchmal könne es auch einfach nur am falsch eingebauten Sturz in den alten Häusern liegen. „Ein gutes Indiz für einen Bergschaden ist, wenn der Riss sich vom Fundament bis nach oben zieht.“
René Schuster von der Grünen Liga sieht das etwas anders. „Das ist Vattenfall-Land hier. Entweder will sich niemand mit Vattenfall anlegen, viele Betroffene lassen sich auch schnell entmutigen und akzeptieren eine Ablehnung“, sagt Schuster. „Immer wieder entscheiden sich die Leute nicht fürs Kämpfen.“ Das aber könnte vielleicht bald nicht mehr nötig sein. Im Bundestag gab es vor wenigen Wochen eine Anhörung dazu und es laufen mehrere Initiativen, die Beweislast für Bergschäden bei Tagebauen umzukehren. Dann müsste Vattenfall nachweisen, dass die Schäden an Häusern nicht Folgen des Braunkohleabbaus und der Absenkung des Grundwassers sind.
Anderswo in der Lausitz haben die Menschen eher ein Problem mit dem steigenden Grundwasser, das für die Tagebaue über Jahrzehnte großflächig abgesenkt worden war und jetzt mit aller Macht zurückdrängt, dorthin wo es mal war. 2000 Betroffene gibt es in Brandenburg vor allem in Lübbenau, Lauchhammer, Senftenberg und Altdöbern. Zahlreiche Häuser und Gewerbegebäude wurden beschädigt. Auch das ist eine Folge des Braunkohleabbaus. Nicht nur die Mondlandschaften der Tagebaue und das geplante Lausitzer Seenland, das einmal entstehen soll in Europas größter künstlicher Landschaftsbaustelle. In Jänschwalde und Heinersbrück aber senkt sich erstmal nicht nur die Erde. „Auch die Erlen sterben“, sagt Schuster. Sie wachsen dort, wo es feucht ist. Jetzt fehlt ihnen das Wasser.
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