Castor-Transporte und Endlager in Gorleben: Wenn der Protest erwacht
Wenn am Wochenende die Atommülltransporte aus Frankreich in das niedersächsische Zwischenlager rollen, könnte ihre Route auch durch die brandenburgische Prignitz führen. Dort, nur wenige Kilometer neben Gorleben, ist der Widerstand noch jung und gering
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Wittenberge/Gorleben - Es braucht nicht viel, damit sich Horst Grote in Rage redet. „Dieser radioaktive Scheißdreck“, ruft der 60-Jährige und haut mit den Fäusten auf den Tisch. Als die klirrenden Gläser verstummen, beugt er sich vor. Im Licht der Deckenlampe werden seine Falten unter den Augen sichtbar, seine Raucherzähne blitzen auf. „Ich möchte diesmal aufs Ganze gehen“, sagt Grote. „Wenn wir bei den Atommülltransporten am Wochenende kein Exempel statuieren, dann werden wir es nie schaffen“, sagt er und lehnt sich zufrieden zurück.
Horst Grote ist erklärter Atomkraftgegner. Einer von wenigen in der Prignitz – fotografieren lassen will er sicher daher nicht. Obwohl das niedersächsische Zwischenlager Gorleben nur wenige Autofahrminuten von der Landesgrenze entfernt liegt, wird der Widerstand vor Ort gegen die Castortransporte und das mögliche Endlager im benachbarten Salzstock kaum unterstützt. Im niedersächsischen Wendland gehen seit 1974 Atomkraftgegner auf die Straße, sie sind gut vernetzt, organisieren Demonstrationen mit knapp 50 000 Teilnehmern. In der brandenburgischen Prignitz gründete sich erst im April dieses Jahres in Wittenberge die erste Bürgerinitiative gegen Atomkraft. „Prignix“ zählt 30 Mitglieder. Am Wochenende, wenn in Gorleben wieder hochradioaktiver Abfall aus Frankreich erwartet wird, wollen sie auf die Straße gehen und die Castoren stoppen, die auch durch Brandenburg rollen könnten.
„Wir sind hier viel übler dran, als die im Wendland“, sagt Horst Grote. Der selbstständige Architekt und Hobby-Landwirt zählt zu den Gründungsmitgliedern von Prignix. Der Westwind, so Grote, trage die radioaktive Strahlung der in Gorleben in einer Leichtbauhalle untergebrachten Castoren nach Brandenburg. „Es ärgert mich maßlos, dass man so machtlos ist.“ Seit Jahren ist Gorleben als mögliches Atommüllendlager im Gespräch. Sollte es dazu kommen, werde die Bedrohung zementiert, sagt Grote. Schon früher habe er gegen die Castoren demonstriert. „Wir sind mitgelaufen, haben Fähnchen geschwenkt, uns vor den Wasserwerfer gelegt. Es hat nichts gebracht. Du frierst dir den Arsch ab und irgendwann bekommst du eine Stinkwut“, sagt Grote. Diesmal will er mehr.
Wissenschaftler, wie der Geologe Ulrich Schneider, sind überzeugt, dass Brandenburg von den Folgen eines atomaren Unfalls im möglichen Endlager Gorleben betroffen wäre. Die Arme des Salzstocks reichen von Niedersachsen unter der Elbe bis in die Prignitz hinein. Sollten in Gorleben hochradioaktive Abfälle durch das Salzgestein sickern – wie es im niedersächsischen Endlager Asse der Fall ist – würde ein Großteil der Radionuklide über unterirdische Grundwasserströme in die Prignitz gelangen
Zum Beispiel nach Lenzen. Für Anke Brandes, die in der etwa 1500 Einwohner zählenden Stadt lebt, ist das nicht das einzige Argument, das gegen ein Endlager im nur knapp zehn Kilometer entfernten Gorleben spricht. „Etwa hier muss es gewesen sein“, sagt Brandes und zeigt auf eine Wiese am Ortsrand von Lenzen. „Hier explodierte 1969 ein Bohrturm“, sagt sie. Fast 20 Stunden lang hatten Feuerwehr und Armee damals mit der turmhohen Gasflamme zu kämpfen. „Es wurde viel darüber geredet“, sagt Brandes. Die 62-jährige Agraringenieurin wohnt seit über 40 Jahren in der Stadt. „Unter dem Salzstock liegt eine riesige Gasblase“, erklärt Brandes. Noch Jahre später habe man auf der Wiese die ausgebrannte Unglückstelle gesehen.
Lenzen, eine Stadt mit vielen kleinen Fachwerkhäusern, imposanten Resten einer Stadtmauer und einer Burg, steht zwischen Aufbau und Abriss. Der Elberadweg bringt im Sommer viele Touristen in die Idylle. Jetzt im Winter sind die Straßen leer. Der Protest gegen den Castortransport hält sich auch hier in Grenzen. Mit dem Auto fährt Anke Brandes zur alten Post im Ort, das Haus ist heute ein Kinderheim. „Hier steht das zweite gelbe Kreuz“, sagt Brandes und stoppt den Wagen kurz. Das gelbe X ist das Symbol der Atomkraftgegner. Es liegt umgefallen auf dem Rasen vor dem Heim. Das andere X hängt an Brandes Haustür. „Es gibt Lenzener, die gut finden, was ich mache“, sagt Brandes, ehe sie den Wagen wieder wendet. Als parteilose Abgeordnete kämpft die Rentnerin mit dem rotblonden Kurzhaarschnitt politisch gegen das Endlager. „Im Stadtrat haben wir aber keine Mehrheit dafür“, sagt Brandes. Die Kommune profitiere von der Anlage finanziell. „Das Zwischenlager gibt Arbeit“, sagt Brandes. Zahlreiche Handwerksbetriebe aus der Region bekommen dort ihre Aufträge. Den Mut, zur Castordemo zu gehen, fänden nur wenige im Ort.
Susanne von Imhoff kennt das. „Ganz viele Leute haben Angst ums Geld“, sagt die 66-jährige ehemalige Sozialtherapeutin aus Vietze, auf der anderen Seite der Elbe in Niedersachsen. Auch hier ist Gorleben nicht weit entfernt. Seit über 30 Jahren ist von Imhoff im Kampf gegen die Castoren und das Zwischenlager aktiv. Fast alle Häuser in Vietze sind mit einem gelben X geschmückt. An etlichen Stoßstangen kleben gelbe Sticker, Plakate sind an jeder Ecke zu sehen, ebenso Polizeiautos. Hier im Wendland ist der Protest nicht neu. „Ihr könnt kein Geld verschenken“, erzählt von Imhoff von den Debatten, als sich der verschuldete Landkreis dazu entschloss, auf die Zuschüsse für das Zwischenlager zu verzichten. „Wir können uns aber auch nicht bestechen lassen“, sagt von Imhoff. Viele Konservative seien dagegen gewesen, hätten über Jahre die Hoheit in den Gemeinden rund um das Zwischenlager gehabt. Stück für Stück, mit jedem weiteren Castortransport und jeder Demo, seien Protestler in der landschaftlich schönen Gegend hängengeblieben. Die Machtverhältnisse änderten sich. Nur in Gorleben selbst, wo immer noch viele Menschen leben, die auch im Zwischenlager arbeiten, sind die gelben Kreuze selten zu sehen.
Für Kerstin Rudek ist klar: Die Bürgerinitiative aus der Prignitz habe mit den gleichen Problemen zu kämpfen, die man im Wendland vor vielen Jahren schon bewältigt habe. Rudek ist die Vorsitzende der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Über 1000 Mitglieder zählt der Verein. Spenden kommen aus ganz Deutschland, Rudek ist für die Großdemo am Samstag in Dannenberg verantwortlich. „Auch wir waren früher in der Minderheit und wurden als Spinner belächelt.“ Das habe sich geändert, sagt die 43-jährige Mutter von sechs Kindern. „Es gehört mittlerweile zum guten Ton, eine Meinung zum Zwischenlager zu haben.“
Soweit sei man in der Prignitz noch nicht, sagt Raymond Basrawi. Der junge Familienvater ist Sprecher von Prignix. „Für viele hier ist Widerstand neu.“ Den Menschen östlich der Elbe falle es nicht immer leicht, ihre Meinung offen darzustellen. Jeden Dienstag trifft sich die Gruppe in Wittenberge. „Nach dem Atomunglück im japanischen Fukushima hatten wir viel Zulauf“, sagt Basrawi. Als dann die Bundesregierung die atomare Kehrtwende ausrief, lehnten sich aber auch viele Atomkraftgegner wieder zurück. „Der Atommüll wird aber weiter produziert“, sagt Basrawi.
Das sieht auch Horst Grote so – und zündet sich eine neue Zigarette an. „Wenn die Prignitzer jetzt nicht aufwachen, wann dann?“, fragt er. Der Verein brauche junge Leute. „Wir wissen nur nicht, woher wir sie nehmen sollen.“ Zu viele ziehen weg, sagt Grote. Selbst seine Töchter gehen am Wochenende nicht demonstrieren: „Papa, es bringt doch nichts“, sagen sie ihm. „Doch es bringt was“, sagt Grote. „Wir haben uns eine Aktion überlegt und dafür einen alten Geländewagen gekauft“, beginnt Grote zu erzählen. Dann stoppt er. „Wir wollen den Castor aufhalten“, sagt er. „Es ist eine Mutprobe.“ Mehr verrät er nicht. Nur eines sei sicher: Wenn es nicht klappt, dann sei er wohl bald weg. „Ich habe mir vorgenommen, ein Land zu suchen, in dem es keinen radioaktiven Scheiß gibt“, sagt Grote. Leicht wird aber auch das nicht.
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