zum Hauptinhalt
Blick auf das von Bäumen umgebene Schloss Wiesenburg und den davor liegenden See im Schlosspark.

© imago/Schöning

Wie Brandenburg zum Geberland wird: Gebt den Kommunen endlich die Milliarden!

Marco Beckendorf ist seit zehn Jahren Bürgermeister der Gemeinde Wiesenburg. Hier skizziert er, wie ein Brandenburger Wirtschaftsboom gelingen kann. Ein Rückblick aus dem Jahr 2040.

Ein Gastbeitrag von Marco Beckendorf

Stand:

Wo stehen wir in Brandenburg Mitte der 2020er-Jahre? Die Krisen fordern ihren Tribut. Mit steigenden Preisen und klammeren Kassen des Staates. Nach Jahren des Aufschwungs gerät die Wirtschaft in Nöte, Arbeitslosigkeit steigt wieder. Besonders im ländlichen Raum weit ab von Berlin verzagen manche, erstarken die Rechten.

Was kann Brandenburg jetzt unternehmen, um dieser Entwicklung wirklich etwas entgegenzusetzen? Wie kann das Land seine Aufholjagd fortsetzen, die gerade erst begonnen hatte? Um das zu erklären, wagen wir einen Blick zurück aus der Zukunft. Dieser zeigt auf, was die Politik jetzt tun sollte. Bitte folgen Sie mir ins Jahr 2040!

Rückblickend sieht jetzt Brandenburgs erfolgreicher Sprung an die Spitze dieser Republik nach Zufall aus. Konsequent scheint er vielleicht nur für jene, die an die Vernunft glauben. Der Erfolg ist Ergebnis von Entscheidungen, die nicht dem Zeitgeist folgen.

Es waren zwei Entwicklungsschübe, die das nicht erwartbare Wachstum des Landes förderten. Der erste ist Ergebnis aktiver Politik: 2025 wurde das bemerkenswerte Wagnis unternommen, trotz strikter Schuldenbremse auf Landesebene öffentliche Milliarden-Summen mithilfe der Kommunen freizusetzen. Der zweite Entwicklungsschub trat in den 2030er-Jahren ein durch eine Rückwanderungswelle von Ostdeutschen, die bislang im Westen lebten und arbeiteten.

Ein Wagnis: die progressive kommunale Schuldenbremse

Zunächst ein Blick auf die „progressive kommunale Schuldenbremse“. Ein Positionspapier der Städte und Gemeinden aus dem Jahr 2024 gab dazu die Initialzündung. Darin veranschlagten die Kommunen für dringend benötigte Investitionen 15,2 Milliarden Euro.

Solche Ausgaben waren jedoch nur maximal zu einem Viertel finanzierbar. Und Brandenburg litt seinerzeit unter einer Konjunktur- und Zinskrise. Die Zahl der Baugenehmigungen war von 2022 auf 2024 um 65 Prozent eingebrochen. Die bisherige starke Zuwanderung aus Berlin drohte abzuebben.

Die regionale Bauwirtschaft benötigte einen Impuls. Es lag nahe, dass der über die Kommunen erzeugt werden könnte. Seit jeher stemmen diese 60 Prozent aller öffentlichen Bauinvestitionen. Die brandenburgischen Städte und Gemeinden waren im bundesweiten Vergleich am geringsten verschuldet. Ihre Rücklagen waren beachtlich. Eine zusätzliche Neuverschuldung erschien nicht abwegig, sondern geboten.

Doch es gab eine Hürde. Die Kommunen verfügten nicht über die Steuerkraft, um Zins und Tilgung der benötigten 15,2 Milliarden Euro an Investitionen dauerhaft erwirtschaften zu können. Das Land wiederum konnte durch die Schuldenbremse in der Brandenburger Verfassung diese hohen Investitionen aus dem Landesetat nicht ermöglichen.

Allerdings: Für Kommunen gab es keine Schuldenbremse. Deshalb machte das Land ein Angebot. Eines, das den damaligen Skeptikern wie Sympathisanten von Staatsschulden genügte. Im Ergebnis führte Brandenburg erstmalig die heute sogenannte „progressive kommunale Schuldenbremse“ ein, die Ausgaben für Investitionen ermöglichte.

Der Begriff klingt sperrig, doch das Prinzip ist einfach: Den Kommunen wurde von nun an ein zins- und genehmigungsfreier Kreditrahmen bei der Investitionsbank Brandenburg (ILB) zur Verfügung gestellt – in Höhe ihrer Jahreseinnahmen.

Die Kommunen konnten sich also in Höhe eines „Jahreseinkommens“ ungeprüft für Investitionen verschulden. Je höhere Einnahmen Kommunen zukünftig erzielten, umso mehr zinsfreie Darlehen konnten sie demnach aufnehmen. Das Geld konnten sie an Eigenbetriebe weiterreichen, sodass auch Stadtwerke, Wohnungsbaugesellschaften und Zweckverbände davon profitierten.

Selbst finanzschwache und stärker verschuldete Kommunen konnten so mehr investieren, denn sie durften zinsfrei umschulden.

Eine Tilgung über 80 Jahre ist für den Staat unproblematisch

Wirksam war die kommunale Schuldenbremse, weil das Land die Zinsen für die Darlehen übernahm und die Kommunen diese über die gesamte Lebenszeit der Investitionen tilgen konnten. Das bedeutete, dass eine neue Schule nunmehr über 80 Jahre abgezahlt wurde, statt vorher über 30 oder 40 Jahre.

Viele Kommunen hatten in der Vergangenheit zu schnell getilgt. Sie hatten nur die Abschreibungen erwirtschaftet, die höhere Tilgung aber teils über Kassenkredite bezahlt, also den Dispo. So war im Zuge von Investitionen der Investitionsstau sogar größer geworden. Denn Geld, das auch für Sanierungen der Toiletten, Klassenzimmer oder Fenster benötigt wurde, war frühzeitig an die Bank gegangen. Das alles war nun Geschichte.

Der Effekt der progressiven kommunalen Schuldenbremse war ein Investitionsboom in Brandenburg. Der Rückstau an zurückgestellten Projekten wurde aufgelöst. Moderne Kitas und Schulen entstanden, neue Wohn- und Gewerbegebiete.

Demografie und Betriebsstruktur: Viel sprach gegen ein schnelles Aufholen

Die öffentlichen und auch die privatwirtschaftlichen Investitionen in Brandenburg stiegen in dieser Zeit auf ein seit 1990 noch nie dagewesenes historisches Ausmaß. Das Wirtschaftswachstum lag stetig über dem Durchschnitt der anderen Bundesländer.

Bis Ende der 2020er-Jahre überholte Brandenburg das Saarland, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz in der Wirtschaftsleistung pro Kopf. Wenn es zwischendurch wirtschaftlich kriselte, gab es keine schlagartigen Einbrüche, da die progressive Schuldenbremse zur Konjunkturstabilisierung beitrug.

Das Berliner Umland hatte bereits Anfang der 2020er-Jahre eine Bevölkerung von über einer Million Menschen. In seiner Ausdehnung war der Speckgürtel zusammen mit Berlin bereits ähnlich groß und einwohnerstark wie das Ruhrgebiet.

Hinzu kam ab Mitte der 2030er-Jahre ein überproportionaler Anstieg von Zuwanderung: ein brandenburgweiter Zustrom einst abgewanderter Jugend. Zehntausende oft gut ausgebildete Fachkräfte kehrten zurück – weil die Mark und nicht allein der Speckgürtel so attraktiv geworden war, die Löhne kaum mehr geringer als im Westen waren und die in der Heimat verbliebenen Eltern nun der Unterstützung und Pflege bedurften.

Eine indirekte Ursache war der sogenannte Honecker-Buckel. Dieser beschreibt den Anstieg der Geburtenrate in der DDR in den 1970er- und 1980er-Jahren nach der Einführung sozialpolitischer Unterstützungsmaßnahmen für Eltern. Diese noch im Osten aufgewachsene Generation war es, die um die Jahrtausendwende die letzte große Abwanderungswelle junger Ostdeutscher in den Westen gebildet hatte.

Mitte der 2030er-Jahre nun halfen diese Rückkehrer, den hohen Fachkräftebedarf zu stillen und transferierten ihre Vermögenswerte von West nach Ost. 2036 gab es sogar einen höheren Zuzug aus Bayern in die Mark als aus Berlin.

Die Integration von Geflüchteten gelang über eine Neuausrichtung der kommunalen Gemeinschaftsunterkünfte seit Mitte der 2020er-Jahre deutlich besser. Im Schnitt wurden Brandenburger Geflüchtete ein halbes Jahr schneller in den Arbeitsmarkt integriert.

Die Gemeinschaftsunterkünfte sicherten Sprachkurse und Weiterbildungen. Geflüchtete konnten sich aus den Erstaufnahmeeinrichtungen gezielt auf eine Gemeinschaftsunterkunft bewerben. So wurde ausgeschlossen, dass Geflüchtete auf Orte verteilt wurden, in denen sie nicht sein wollten. Unterkünfte im ländlichen Raum wurden durch spezialisierte Angebote interessanter. So blieben deutlich mehr ausgebildete Geflüchtete mit ihren Familien in den Regionen.

Berliner Wohnungsbaugesellschaften entdeckten Brandenburg

Die Internationale Bauausstellung zur Zukunft der Metropolregion Berlin „IBA 2034-2037“ war die Leuchtreklame des Brandenburger Erfolgsmodells. Entlang der Bahnachsen gab es inzwischen erstmalig soziale Wohnbauprojekte von Berliner Wohnungsbaugesellschaften in Brandenburg.

Einige Jahre wurden in Brandenburg mehr Wohnungen als in Berlin gebaut. Überall entstand bezahlbarer Wohnraum. Der kommunale Wohnungsbau blühte auf, denn er war wieder finanzierbar geworden durch die Zinsfreiheit und die langen Tilgungszeiten.

Diesem Boom in Brandenburg stand der Renteneintritt der Babyboomer-Generation im Westen gegenüber. Bis 2035 musste dort eine Lücke von sieben Millionen Beschäftigten geschlossen werden. Durch Innovationen und Zuwanderung gelang dies teilweise.

Dennoch fiel dort die Produktivität in einigen Bundesländern zurück, während Brandenburg ein kontinuierliches Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum verzeichnete. Die Steuereinnahmen des Landes und der Kommunen nahmen deutlich zu. Seit dem Jahr 2039 ist Brandenburg im Länderfinanzausgleich nunmehr Geberland. Als erstes ostdeutsches Bundesland.

Und das ist kein Zufall.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })