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Neonazi-Trio: Wie Brandenburgs Hinweise versickerten

In der Affäre um die Ermittlungspannen zum Thüringer Neonazi-Trio hat Brandenburgs Verfassungsschutz jetzt brisante Unterlagen an die Bundesanwaltschaft geschickt.

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Potsdam - Darin geht es nach PNN-Informationen aus Sicherheitskreisen um die konkreten Hinweise, die deutsche Behörden schon frühzeitig über die Bestrebungen des in den Untergrund abgetauchten Trios hatten.

Wie berichtet hatten die Verfassungsschützer in Brandenburg bereits 1998 Informationen erhalten, dass sich die Neonazis mit Waffen versorgen wollten. Über mehrere Monate stand Brandenburgs Verfassungsschutz in Kontakt zu den Behörden in Sachsen und Thüringen, wie die PNN aus Sicherheitskreisen erfuhren. Geschehen ist allerdings nichts. Stattdessen waren die drei Neonazis, die bis 2011 mindestens zehn Morde, zwei Bombenanschläge und 14 Banküberfälle begangen haben sollen, bereits seit acht Monaten unbehelligt im Untergrund.

Der Informant, ein V-Mann des märkischen Verfassungsschutzes mit dem Decknamen „Piato“, hatte zuerst keinerlei Hinweise auf konkrete Personen und Namen gegeben. Vielmehr habe er über drei sächsische Skinheads, eine Frau und zwei Männer, die auf der Flucht seien, berichtet. Der V-Mann wusste auch, dass der Fall der Neonazis „medienbekannt“ sei und dass diese sich mit den Waffen Geld für eine Flucht nach Südafrika besorgen wollten.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Behörden in Thüringen und Sachsen wurden Ende August informiert. In den folgenden Wochen wurden die Angaben sogar noch präzisiert: dass nämlich das Geld für den Waffenkauf vom Netzwerk „Blood and Honour“ aus Einnahmen von CD-Verkäufen und Konzerten beschafft werden sollte. Im Oktober 1998 schließlich kam die Meldung des V-Mannes, dass das Trio noch immer auf der Suche nach Waffen sei. Erstmals tauchte in den Berichten auf, dass das Trio nicht in Sachsen, sondern in Thüringen aktiv war. Brandenburgs Verfassungsschutz reichte weiter, was er an Informationen bekam.

V-Mann „Piato“ flog übrigens 1999 unter nie komplett geklärten Umständen auf. Es halten sich Gerüchte, Polizisten hätten sich verplappert, ebenso Mutmaßungen, „Piato“ könnte selbst Agent Provocateur, ein bezahlter Anstifter gewesen sein. Carsten S. war in den 90er Jahren ein bekannter Neonazi in Brandenburg, Mitglied bei „Blood and Honour“ und Waffendealer, der 1995 wegen versuchten Mordes an einem nigerianischen Asylbewerber verurteilt worden war. Für den Verfassungsschutz war er eine ergiebige Quelle: Durch ihn wurden geplante Anschläge mit Rohrbomben und Waffenkäufe durch Neonazis verhindert. „Piato“ erhielt nach seiner Enttarnung eine neue Identität und lebt an einem geheimen Ort.

Heute rätselt der Verfassungsschutz in Potsdam, wie es trotz des intensiven Austauschs mit den Behörden in Sachsen und Thüringen zu der Ermittlungspanne um das Neonazi-Trio kommen konnte. Hinweise über Neonazis, die sich Waffen besorgen wollen, sind nicht selten. Dem ginge der Verfassungsschutz auch nach, vieles stelle sich aber als Gerede heraus, heißt es dort. Offenbar, so die Einschätzung in Brandenburgs Sicherheitsbehörden, war ein Rechtsterrorismus von kleinen Zellen und ohne Bekennerschreiber in dieser Form für die Verfassungsschützer völlig neu. „Es gehörte nicht zum Erfahrungshorizont“, sagte ein Mitarbeiter den PNN.

Auch Bernd Wagner (56), ein Brandenburger, in der DDR Kriminalpolizist, nach der Wende Chef des Staatsschutzes im gemeinsamen Landeskriminalamt der neuen Bundesländer und Gründer des Aussteigerprogramms „Exit“ für Neonazis, teilt diese Sicht. „Wenn man die falsche Brille aufhat, sieht man eben nicht alles“, sagte er dem „Spiegel“. Wagner nennt es „Arroganz der Behörden“ in den 1990er Jahren, „die hatten keine Ahnung, mit wem sie es hier zu tun hatten“.

Nun, 13 Jahre nach seinem Hinweis auf das Neonazi-Trio, kann der frühere V-Mann mit Besuch rechnen. Aus Brandenburg wurde Generalbundesanwalt Harald Range mitgeteilt, wo und wie Carsten S. zu finden ist – über das Zeugenschutzprogramm des Landeskriminalamtes.

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