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Schädling oder Sündenbock? Seit Jahren klagen Fischer im Land Brandenburg über Ertragseinbußen durch den Kormoran. Nach einer langen Erholungsphase ist die Zahl der Brutpaare des einst fast ausgestorbenen Fischjägers 2011 wieder deutlich eingebrochen.

© dpa

Umstrittener Fischjäger: Wie viel Kormoran braucht das Land?

Es gibt wieder Streit um die geschützten Fischjäger: Fischer wollen die Bestände des Kormorans weiter reduzieren. Unterdessen ist die Zahl der Brutpaare deutlich eingebrochen.

Von Matthias Matern

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Potsdam - Bei Berufsfischern ist er als dreister Fischdieb verschrien, der für Einbußen in Millionenhöhe verantwortlich ist. Naturschützer sehen in ihm einen schützenswerten Teil der heimischen Fauna, der pauschal als Sündenbock diskriminiert wird. Noch um 1920 galt der Kormoran europaweit als praktisch ausgerottet. Seit der Wende jedoch haben sich die Bestände deutlich erholt. Angaben des Landes Brandenburg zufolge lebten 1990 noch 70 Brutpaare zwischen Uckermark und Lausitz, 2001 waren es bereits mehr als 2800. Nun sitzt der geschützte Ruderfüßler offenbar erneut auf dem absteigenden Ast: Gerade einmal 1886 Brutpaare zählten Experten in diesem Jahr in den landesweit zwölf Kolonien. Das sind knapp 115 Paare weniger, als die Landesregierung für den langfristigen Erhalt der Tiere für erforderlich hält.

Das zumindest geht aus einer Antwort der Landesregierung vom Juli 2011 auf eine große Anfrage der FDP-Fraktion im brandenburgischen Landtag hervor. „Die Landesregierung schätzt ein, dass sich die Kormoran-Population des Landes Brandenburg mindestens auf einem Niveau von 2000 Brutpaaren bewegen müsste, um einen günstigen Erhaltungszustand zu gewährleisten“, heißt es dort. Grundlage der Richtgröße sei die Erkenntnis, dass sich in der Erholungsphase seit 1990 bei einem Brutpaarbestand von 2000 Stück eine „gewisse Verlangsamung“ abgezeichnet habe. Am heutigen Donnerstag soll die Antwort auf die FDP-Anfrage im Landtag diskutiert werden.

Akut bedroht ist der Kormoran derzeit aber noch nicht, glaubt Frank Plücken, Referent Artenschutzvollzug im brandenburgischen Landesumweltamt (LUA). „Aber der Rückgang ist durchaus ein Warnsignal. In den nächsten zwei bis drei Jahren müssen wir die Entwicklung sehr genau beobachten.“ Immerhin betrug die Zahl der Brutpaare im vergangenen Jahr noch mehr als 2500. „Das ist schon ein außergewöhnlicher Sprung“, findet der Landesexperte.

Über die Gründe für den Einbruch gibt es unterschiedliche Meinungen. Der Landesfischereiverband Brandenburg etwa feiert den Rückgang als Erfolg des landesweiten Kormoranmanagements der vergangenen Jahre. Nach zunehmenden Protesten der Fischer über Verluste durch die geschickten Jäger hatte das Land ab 2005 mehrfach sogenannte Vergrämungsaktionen in zwei der großen Kolonien am Alten Wochowsee im Landkreis Oder-Spree und den Paretzer Tonstichen (Havelland) durchgeführt. Während der Brutzeit wurden die Elterntiere so lange aufgeschreckt, bis deren Eier auskühlten.

Zumindest zwei Störaktionen aus dem Jahr 2008 hat das Potsdamer Verwaltungsgericht jetzt für rechtswidrig erklärt. Der Landesverband Brandenburg des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) hatte gegen die Genehmigung des LUA geklagt. Da die Kolonien mitten in europäischen Vogelschutzgebieten liegen und deren erklärtes Schutzziel der Erhalt der betroffenen Brutgebiete ist, hätte die Behörde die Störaktionen nicht genehmigen dürfen. Kritisiert hatten die Potsdamer Richter jedoch vor allem den Antrag des Landesfischereiverbandes. Dieser hatte die Maßnahmen mit Verweis auf die generelle Bedrohung der Fischerei durch den Kormoran beantragt, ohne jedoch nachweisen zu können, welche Betriebe speziell von den beiden Kolonien betroffen waren.

Insgesamt machen die Fischer die Kormorane für wirtschaftliche Einbußen in Höhe von mehr als 2,7 Millionen Euro seit 2008 verantwortlich. Allerdings hätten sich die Schäden seit 2008 nahezu halbiert, räumt Lars Dettmann, Geschäftsführer des Fischereiverbandes, ein. „2010 waren es rund 630 000 Euro.“ Für Dettmann ein Beweis, dass die Vergrämungsaktionen „sehr wohl etwas gebracht“ haben.

„Der Bestandsrückgang hat mit der Vergrämung gar nichts zu tun. Die sind sogar kontraproduktiv. Werden die Vögel aufgescheucht, erzeugt das Stress und der wird durch zusätzliche Nahrungsaufnahme kompensiert“, glaubt Tom Kirschey, Vorsitzender des NABU Brandenburg. Vielmehr seien die geschickten Jäger selbst Opfer geschickter Jäger geworden sind. Der aus Nordamerika stammende und mittlerweile auch in Deutschland heimische Waschbär habe die Nester in den großen Kormoran-Kolonien des Landes geplündert, ist sich Kirschey sicher.

LUA-Experte Plücken führt den Einbruch bei den Brutpaaren dagegen sowohl auf die Vergrämung als auch auf den Waschbär zurück. „In der Kolonie Paretzer Tonstiche haben sich die Tiere richtig auf Kormorangelege spezialisiert“, bestätigt er. Angaben des Landes zufolge nisteten noch 2010 in der einst drittgrößten Kolonie Brandenburgs knapp 400 Paare. 2011 wurde noch ein einziges Paar gesichtet. Deutlich zurückgegangen ist die Zahl aber auch am Alten Wochowsee. Im vergangenen Jahr waren es noch rund 480 Paare, in diesem brüteten dort lediglich 334 Paare. 2004 wurden 659 Paare gezählt. Plücken glaubt, dass der Rückgang am Alten Wochowsee eine Folge der Scheuchaktionen ist. „Der Waschbär spielt dort eigentlich keine große Rolle“, sagt der Landesumweltexperte.

Wegen des geschrumpften Brutbestandes hatte das Landesumweltamt in diesem Jahr keine weiteren Vergrämungsaktionen in den Kolonien geplant. Ohnehin, findet, NABU-Chef Kirschey, würden die Kormorane oft zu unrecht verdächtigt. Die sinkenden Aalerträge seit 1990 um 65 Prozent etwa ließen sich vielmehr aus den rückläufigen Besatzzahlen ableiten. Die wesentliche Diskrepanz zwischen den erwarteten und den tatsächlichen Fangzahlen sei beim Aal schon vor Mitte der 90er Jahre aufgetreten, zu einem Zeitpunkt, als Kormorane noch selten waren, behauptet Kirschey. Unbestritten sei aber, dass sich die Vögel an den Teichwirtschaften bedienen. Kormoran-Abschüsse in begrenzter Zahl direkt an den Teichen seien deshalb gerade noch akzeptabel. Außerhalb von Schutzgebieten und nahe Fischzuchten und Gewässern mit Fischereirechten sind solche Abschüsse jedoch auf Grundlage der brandenburgischen Kormoranverordnung ohnehin erlaubt. Nach LUA-Angaben wurden 2010 insgesamt 827 Tiere geschossen, 2009 sogar 1014.

Nach Ansicht von Fischereiverbandschef Dettmann gibt es aber trotz des jüngsten Einbruchs noch immer zu viele Kormorane. „Mit 1000 Brutpaaren könnten wir halbwegs leben“, sagt er. „Wir werden die Landesregierung in die Pflicht nehmen, die Verordnungen der betroffenen Schutzgebiete so zu ändern, dass dort auch künftig Regulierungsmaßnahmen durchgeführt werden können, sofern sie notwendig werden.“ Das Land hat bereits seine Bereitschaft signalisiert.

Eine Reduzierung auf nur noch 1000 Brutpaare jedoch kommt für Frank Plücken keinesfalls infrage. „Das Risiko wäre zu groß. Vergrämungsaktionen können auch dazu führen, dass ungewollt Kolonien ganz aufgegeben werden“, schildert der Fachmann. Allein im größten Brutgebiet des Landes, im Nationalpark Unteres Odertal in der Uckermark, lebten derzeit rund 1100 Paare. „Sollte dort etwa zusätzlich noch ein unerwartetes Ereignis eintreten, wie der Waschbär, wäre der Kormoranbestand im Land plötzlich akut gefährdet“, sagt Plücken.

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