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Von Thorsten Metzner: Wildnis Brandenburg

Umweltministerin Anita Tack (Linke) will zwei Prozent der Landesfläche der Natur zurückgeben Das ist auch Ziel der Naturschutzverbände und des Bundes. Konflikte mit Anwohnern sind programmiert

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Potsdam - Es geht um ein Gebiet in Brandenburg mehr als doppelt so groß wie das Saarland – aus dem sich der Mensch komplett zurückziehen soll: Umweltministerin Anita Tack (Linke) hat sich dafür ausgesprochen, „zwei Prozent“ der Landesfläche, insgesamt 60 000 Hektar, bis zum Jahr 2020 gezielt verwildern zu lassen. „Das ist sehr ambitioniert, aber wir sind fest entschlossen“, erklärte Tack am Montag auf einer „Wildniskonferenz“ der Stiftung „Brandenburgische Naturlandschaften“ in Potsdam. Dass sich Tack klar hinter die Naturschutzverbände stellt, birgt jede Menge Zündstoff. Es kollidiert mit Vorbehalten in der Bevölkerung und mit der rot-roten Energiepolitik, große Flächen für Wind-, Solarparks und Biomasse-Plantagen auszuweisen. Für einen Interessenausgleich, sagte Tack, werde eine „hohe Schule“ nötig.

Denn Wolf, Luchs und andere Arten kehren zwar zurück. Doch von solchen Wildniszielen ist Brandenburg weit entfernt. Zwar hatte das Land vor allem in den Gründungsjahren nach 1990 unter dem damaligen  bündnisgrünen Umweltminister und heutigen SPD-Ministerpräsidenten Matthias Platzeck 221 073 Hektar Naturschutzgebiete ausgewiesen – 7,5 Prozent des Landes. Doch nur 22 000 Hektar davon sind Wildnis, also wirklich weitgehend unberührt von Forst-, Agrarwirtschaft und Tourismus.

Es geht nicht um einen Sonderweg Brandenburgs, etwa wegen der Entvölkerung berlinferner Regionen. Hintergrund ist auch eine Selbstverpflichtung der Bundesregierung, wonach bis 2020 in Deutschland zwei Prozent der Fläche Wildnisgebiete werden sollen – als nationaler Beitrag im weltweiten Ringen gegen das dramatische Artensterben. Bisher gibt es bundesweit „0,4 bis 0,6 Prozent“ Wildnisflächen, vor allem in den Kernzonen der Nationalparks, sagte Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz. Als Gebiete kämen großräumige Naturwälder, Truppenübungsplätze, Bergbaufolgelandschaften und Überflutungsauen infrage: Die eher magere Brandenburger Bilanz wollte Jesse nicht kommentieren, da der Bund „auf die Mitwirkung der Länder und Gemeinden angewiesen“ sei. Doch Experten sind sich einig, dass Brandenburgs Beitrag angesichts der dichten Besiedlung vieler westdeutscher Regionen größer als zwei Prozent sein müsste.

Aus Sicht der Stiftung Brandenburgische Naturlandschaften, die selbst 12 000 Hektar unberührte Natur besitzt und weitere Flächen erwerben will, ist das 2-Prozent-Ziel realistisch. 8 Prozent des Landes seien frühere Truppenübungsplätze, sagte Ratsvorsitzender Hans-Joachim Mader. Als Beispiele für mögliche Gebiete nannte er „Bombodrom“ in der Kyritz-Ruppiner Heide und die Tangersdorfer Heide. „Wenn man das strategisch gut anpackt, ist es machbar.“ So könne man voreilig verkaufte, inzwischen abgeforstete Gebiete günstig zurückerwerben. Der Naturschutzbund Brandenburg sieht vor allem das Land selbst in der Pflicht: Von den 300 000 Hektar Landeswald könnte man 40 000 Hektar zu Wildnisgebieten machen, fordert Nabu-Chef Tom Kirschey. Bislang verweigere aber der Forst die Aufgabe jedes Quadratmeters. „So werden selbst alte Buchenwälder weiter bewirtschaftet.“

Brandenburg hat mit Verwilderungsplänen bereits Lehrgeld gezahlt. Im Nationalpark Unteres Odertal, dem einzigen des Landes, sorgen nämlich vor allem Totalreservatszonen für erbitterten Streit. Der internationale Nationalpark-Standard, wonach 50 Prozent der rund 10 600 Hektar eigentlich Schutzzone I – tabu für den Menschen – sein müsste, ist nicht in Sicht. Bisher sind es lediglich rund 1500 Hektar.

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