Von Stefan Jacobs: Winter legt Winterdienst lahm
Berliner Räumfirmen kündigen fristlos / Verspätungen bei Bahn und Flügen
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Berlin – Was schon manche Grundstücksbesitzer schlecht schlafen lässt, ereilt jetzt die Behörden der Bundeshauptstadt: die Kapitulation der Winterdienste. So ist etwa im Berliner Bezirk Reinickendorf durch die fristlose Kündigung einer Räumfirma von einem Tag auf den anderen der Winterdienst für sämtliche bezirkseigenen Grundstücke abhanden gekommen. Teilweise betrifft die Kündigung auch die Bezirke Tempelhof-Schöneberg und Neukölln. Und das Problem könnte sich ausweiten, denn nach Informationen dieser Zeitung haben auch zwei andere große Winterdienstleister in Berlin mit Kündigung gedroht, sofern sie nicht bis zu 80 Prozent mehr Geld für ihre Arbeit erhalten.
Nach Auskunft des Reinickendorfer Wirtschaftsstadtrates Martin Lambert (CDU) hat das Bezirksamt der in Berlin-Pankow ansässigen Firma am vergangenen Freitag eine Liste mit 200 festgestellten Mängeln geschickt und einen Mitarbeiter zum Rapport bestellt. Am Mittwoch sei dann die fristlose Kündigung der Firma eingegangen.
Die Firma war übers Landesverwaltungsamt rekrutiert worden. Das hat nach Auskunft der Innenverwaltung die Kündigung zurückgewiesen und die Firma zur Erfüllung des Vertrages aufgefordert. Damit bahnt sich ein Rechtsstreit an, der aber das akute Problem nicht löst. Reinickendorf sucht nach Auskunft von Lambert händeringend Ersatz. Bei etwa 40 privaten Firmen sei man ebenso abgeblitzt wie bei der Berliner Stadtreinigung. Als Notlösung helfen nun Hausmeister, Amtsmitarbeiter und Eltern von Schülern aus. Für besondere Gefahrenstellen will sich Lambert von Umweltsenatorin Katrin Lompscher (Linke) eine Sondergenehmigung zum Salzstreuen holen.
Nächste Woche steht ein Krisengespräch mit Wirtschafts- und Eigentümerverbänden an. „Die Winterdienste können sich so nicht aus der Affäre ziehen, das ist Vertragsbruch“, heißt es in der Umweltverwaltung. Der Pankower Ordnungsstadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne), bei dem ebenfalls schon eine Kündigung gelandet ist, bestätigt: „Das ist ein Fall für unser Rechtsamt.“ Das Verhalten der Winterdienste verwundert ihn: „Abgesehen von der Räumpflicht an Parkscheinautomaten haben die gar keine neuen Aufgaben bekommen.“ Der wesentliche Unterschied ist aus Sicht von Kirchner, dass neuerdings viel genauer hingeschaut werde. Andere Verwaltungsleute vermuten, dass sich die Winterdienstfirmen einfach verzockt haben, indem sie wieder auf einen milden Winter spekulierten.
Davon konnte aber auch gestern keine Rede sein: Die neuerlichen Schneefälle in der Nacht zu Freitag haben in Berlin wieder zu Verkehrsbehinderungen geführt. Größere Beeinträchtigungen auf Straßen und Schienen blieben aber aus. Wegen Schneefalls wurde auf dem Flughafen Berlin-Tegel am Freitagmorgen rund ein Drittel der Flüge gestrichen. Bis zum Nachmittag wurden insgesamt 51 Flüge annulliert, wie ein Sprecher mitteilte. Tegel war davon in 48 Fällen betroffen. Seit Donnerstag seien die Winterdienste auf dem Flughafen im Dauereinsatz, sagte der Sprecher.
Im Berliner S-Bahn-Verkehr führten die Schneefälle erneut zu Verspätungen im Zugverkehr. Vereinzelt sei es auch zu Zugausfällen kommen, teilte das Unternehmen mit. Auch wurden Züge verkürzt und Taktzeiten ausgedünnt. So verkehrten etwa die Linien S7 und die S75 lediglich alle 20 Minuten. Beide Linien wurden zudem verkürzt. Auch die Linien S 8 und S 9 fuhren lediglich auf einer Teilstrecke.
Auf den Straßen rollte der Verkehr weitgehend störungsfrei. Die Polizei verzeichnete allein zwischen 14 Uhr und 15 Uhr 36 witterungsbedingte Unfälle. Dies sei trotz des Wetters nicht mehr als üblich, sagte eine Sprecherin. Die Autofahrer hätten sich demWetter angepasst.
Die Touristen lassen sich den Tourismuswerbern von visitBerlin zufolge nicht von den Schneemassen abschrecken. Im Gegenteil, sie seien „verzaubert vom Wetter“, sagte Sprecherin Natascha Kompatzki. Für den Dezember erwartet sie ein Besucherplus im Vergleich zum Vorjahr. Die Stadt sei sehr gut gebucht, insbesondere zu Silvester. Stornierungen wegen des Wetters gebe es höchstens vereinzelt, wenn ein Flug gestrichen wurde. Berlin habe sich bereits 2004 vom „Winterloch“ bei den Touristenströmen verabschiedet. Damals sei damit begonnen worden, den Winter in Berlin intensiv zu bewerben. (mit dapd)
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