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Brandenburg: „Wir haben jetzt ganz andere Probleme zu lösen“

Ein Brandenburger der ersten Stunde: Hans Otto Bräutigam erinnert sich – Auszüge aus seinem neuen Buch im exklusiven Vorabdruck

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Hans Otto Bräutigam ist einer der Geburtshelfer des Landes Brandenburg. Von 1990 bis 1998 war er unter dem damaligen Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) erster Justizminister des neu gegründeten Bundeslandes. Zuvor hatte Bräutigam sieben Jahre die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR geleitet. Über seine Zeit in Brandenburg hat der heute 84-Jährige ein Buch geschrieben, das am Montag erscheint und am 25. März bei einer Lesung mit Manfred Stolpe in der Bibliothek des Zentrums für Zeithistorische Forschung, Am Neuen Markt 9 d, ab 19 Uhr vorgestellt wird. Exklusiv veröffentlichen die PNN bis dahin vorab ab täglich ausgewählte Passagen.

Am nächsten Morgen holte mich Eberhard Grashoff im Hotel ab. Er war früher Pressesprecher der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin gewesen und inzwischen zum stellvertretenden Regierungssprecher der Landesregierung in Potsdam berufen worden. Ich war hocherfreut, einen von mir sehr geschätzten ehemaligen Mitarbeiter in der Staatskanzlei zu wissen. Grashoff brachte mich dann zu Ministerpräsident Stolpe, der mich sehr freundlich wie einen Vertrauten aus früheren Zeiten begrüßte. Er war wohl erleichtert, dass ich endlich eingetroffen war. An diesem Morgen hatte Stolpe freilich wenig Zeit für mich. Seit er Mitte Oktober zum Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg gewählt worden war, regierte er praktisch allein und musste sich um tausend Dinge kümmern. So trafen wir uns zum Mittagessen in der nahe gelegenen Kantine der Bezirksverwaltungsbehörde. Wir suchten uns einen freien Tisch, stellten uns wie alle anderen Bediensteten an und bekamen nach kurzer Wartezeit ein einfaches, aber reichliches Essen. Als wir fertig waren, lieferten wir das Geschirr, wie es sich gehörte, wieder ab. Stolpe legte offenbar Wert darauf, sich als erster demokratisch gewählter Ministerpräsident in Brandenburg wie alle anderen einzuordnen und keine besonderen Privilegien zu beanspruchen. Man konnte ihn ansprechen, und einige Mitarbeiter taten das auch, ohne dass er sich belästigt fühlte – ein Zeichen der neuen demokratischen Offenheit. (...)

Stolpe war nach meinem ersten Eindruck bemüht, als Ministerpräsident den Überblick zu behalten und praktische Lösungen für die vielen Probleme zu suchen, mit denen das neue Bundesland Brandenburg konfrontiert war. Er arbeitete diszipliniert, wie er es stets getan hatte, und erwartete das auch von seinen Mitarbeitern. Als ich ihn ganz nebenbei fragte, ob sich auch die Frage eines Zusammenschlusses mit dem Land Berlin stelle, schaute er mich verwundert an und sagte: „Ach, wissen Sie, wir haben jetzt ganz andere Probleme zu lösen. Vielleicht kommt das später einmal.“ An diese Bemerkung Stolpes habe ich mich 1996 erinnert, als die Fusion mit Berlin scheiterte. Vielleicht wäre sie erfolgreich gewesen, wenn wir früher damit begonnen hätten. Doch Ende 1990 gab es in der Tat weit dringendere Probleme. (...)

Am nächsten Tag führte ich ein längeres Gespräch mit den Mitarbeitern der Abteilung Justiz in der Bezirksverwaltung Potsdam, das von Malte Kupas geleitet wurde, der früher im Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR tätig gewesen war. Dieser Aufbaustab, bestehend aus Ost-Juristen, hatte sich in erster Linie mit den organisatorischen Fragen der künftigen Justizverwaltung beschäftigt, besaß aber nur ungenaue Vorstellungen von den Aufgaben und der Arbeitsweise eines Justizministeriums nach westdeutschem Muster. (...)

Dennoch konnte ich mich nicht dazu entschließen, Kupas, der mir sympathisch war und an dessen Zuverlässigkeit und Loyalität ich nicht den geringsten Anlass hatte zu zweifeln, als Staatssekretär einzusetzen, wie es sich Stolpe vorgestellt hatte. Dafür fehlte ihm die Kenntnis des Rechtssystems der Bundesrepublik Deutschland, das jetzt auch in den Ost-Ländern galt. Als ich das Kupas eröffnete, war ihm die Enttäuschung deutlich anzumerken. Alle Leitungspositionen sind eben den „Wessis“ vorbehalten, mag er gedacht haben. (Fortsetzung folgt)

Hans Otto Bräutigam: Meine Brandenburger Jahre – Ein Minister außer Diensten erinnert sich. Das Buch hat 280 Seiten und ist im Verlag für Berlin-Brandenburg (vbb) erschienen. Es kostet 22,99 Euro.

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