zum Hauptinhalt

Brandenburg: Wirtschaftliches Interesse am Drill in Haasenburg-Heimen? Jugendliche wurden angeblich gezielt provoziert. Sie mussten länger bleiben und der Staat musste zahlen

Potsdam – Die Kette von schweren Vorwürfen gegen die Haasenburg GmbH wegen unzulässiger Zwangs- und Drillmaßnahmen gegen Jugendliche und gegen die staatliche Heimaufsicht des Landesjugendamtes wegen mangelnder Kontrolle reißt nicht ab. Laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ sollen Jugendliche bewusst zu aggressivem Verhalten provoziert worden sein, um damit deren Heimaufenthalte zu verlängern und der Haasenburg anhaltende Einnahmen aus den öffentlichen Kassen sichern zu können.

Stand:

Potsdam – Die Kette von schweren Vorwürfen gegen die Haasenburg GmbH wegen unzulässiger Zwangs- und Drillmaßnahmen gegen Jugendliche und gegen die staatliche Heimaufsicht des Landesjugendamtes wegen mangelnder Kontrolle reißt nicht ab. Laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ sollen Jugendliche bewusst zu aggressivem Verhalten provoziert worden sein, um damit deren Heimaufenthalte zu verlängern und der Haasenburg anhaltende Einnahmen aus den öffentlichen Kassen sichern zu können. Trotz früher Hinweise von mehreren Mitarbeitern der Haasenburg, dass der aggressive Umgang mit den Jugendlichen im Heim mit den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens zusammenhängen soll, war das Landesjugendamt als Aufsichtsbehörde nicht eingeschritten.

Der „Spiegel“ beruft sich auf interne Unterlagen. Demnach hatten drei Mitarbeiter des Unternehmens das Landesjugendamt über „erhebliche Missstände“ in den Jugendheimen des Unternehmens informiert und vor „Kindeswohlgefährdung“ gewarnt. Zudem seien „bewusst Konflikte mit Jugendlichen geschaffen“ worden, „um in den Entwicklungsberichten an die Ämter" für eine Verlängerung des Heimaufenthaltes plädieren zu können, „weil der Jugendliche ja noch so aggressiv ist“. Grund für dieses Vorgehen in den Haasenburg-Heimen sollen „wirtschaftliche Gründe“ gewesen sein, wie der „Spiegel“ berichtet. Für die Jugendlichen am Wohnort zuständige Jugendämter in der Bundesrepublik zahlen zwischen 300 und 500 für die geschlossene Unterbringung in den drei Haasenburg-Heimen in Brandenburg.

Der nun bekannt gewordene Verdacht steht offenbar im Zusammenhang mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Cottbus, bei der wegen Misshandlungsvorwürfen rund 70 Verfahren anhängig sind. Erst jüngst hat die Behörde ihre Ermittlungen – wie berichtet – auf mögliche Wirtschaftsdelikte ausgeweitet.

Auch die von der Bildungsministerin Martina Münch (SPD) eingesetzte Untersuchungskommission fand Hinweise, dass in den Haasenburg-Heimen zu wenig Personal für die Jugendlichen eingesetzt wurde und Personalzahlen geschönt waren. „Es gibt deutliche Hinweise, dass Leistungen nicht erbracht wurden“, stellte die Expertenkommission fest.

Ebenso, dass einige Gewaltvorfälle von Haasenburg-Mitarbeitern provoziert worden seien. Zu einem möglichen wirtschaftlichen Hintergrund dafür hielt sich die Kommission aber bedeckt. Deren Bericht, der Hinweise auf Grundrechtsverletzungen wie Körperverletzungen enthält, deckt sich aber mit den nun vom „Spiegel“ zitierten schriftlichen Stellungnahmen der Haasenburg-Mitarbeiter und persönlichen Gesprächen. Darin haben laut dem Magazin Haasenburg-Mitarbeiter berichtet, wie in den Heimen Jugendliche gezielt provoziert worden seien, damit sie „körperlich begrenzt“ werden konnten. Begrenzung ist ein Fachbegriff und bezeichnet eine von einem Familiengericht per Blankobeschluss für die geschlossene Unterbringung erlaubte Anti-Aggressionsmaßnahme, um Jugendliche bei Fremd- und Selbstgefährdungen zu bändigen. Die Haasenburg, die laut Experten generell auf Drill und „Umerziehung“ setzte und die Begrenzung nicht in erlaubten Notlagen, sondern zur Disziplinierung angewendet hat, griff dabei zu besonders harten Methoden: Die Jugendlichen wurden von mehreren Erwachsenen mit schmerzhaften Polizeigriffen zu Boden gedrückt und festgehalten. Wie berichtet waren dabei Insassen auch verletzt worden – etwa durch Armbrüche.

Bis 2010 waren auch Fixierliegen im Einsatz. Obwohl ein stellvertretender Referatsleiter des Landesjugendamtes laut „Spiegel“-Bericht „die dargestellte Situation“ als „gravierend“ einschätzte, hat die Heimaufsicht offenbar wenig getan, um die Missstände abzustellen.

Bereits in der Vorwoche hatte Münch, der das Landesjugendamt untersteht, schwere Missstände in der Haasenburg, aber auch Verfehlungen der personell mit drei Mitarbeitern für 400 Einrichtungen völlig unterbesetzten Behörde eingeräumt, die jetzt weiteruntersucht werden sollen. Dazu zählen auch die Warnungen der Haasenburg-Mitarbeiter über die wirtschaftlichen Hintergründe des aggressiven Umgangs mit den Jugendlichen.

Wie berichtet will Münch der Haasenburg GmbH die Betriebserlaubnis für die drei Heime Müncheberg, Neuendorf und Jessern entziehen, in denen bis zum Skandal 115 schwer erziehbare, kriminell auffällige Kinder und Jugendliche aus der ganzen Bundesrepublik betreut wurden. Derzeit sind es noch 37. Für sie werden jetzt alternative Betreuungsplätze gesucht. Münch hatte ihren Schritt damit begründet, dass in den Haasenburg-Heimen eine „latente Kindeswohlgefährdung“ bestehe und körperliche Zwangsmaßnahmen gegen Kinder und Jugendliche nicht ausgeschlossen seien. Die Haasenburg GmbH hat alle Vorwürfe bestritten und stets als unbegründet zurückgewiesen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })