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Glosse: Yoga gegen S-Bahn-Terror

Aufregen hilft nicht mehr. Jetzt heißt es Handeln!

Stand:

Wir haben uns jetzt für einen Yoga-Kurs angemeldet. Wegen der S-Bahn.

Auf die ist mein Mann tagtäglich angewiesen, wenn er nach Berlin zur Arbeit fährt und abends wieder heim. Somit hängt der Feierabendfrieden oft genug am seidenen Faden, Sie wissen warum, ich muss das nicht ausführen.

Übel gelaunt kam er kürzlich nach Hause, nachdem er den Bus verpasst hatte, weil die S-Bahn – in der man ohnehin höchstens olfaktorisch kuschelig stehen kann, Sitzplätze gibt's da nur noch für Berufspenner mit Akkordeonstütze – nicht pünktlich war. Zwei Mal umsteigen von Zoo bis Babelsberg, falls man am Ende nicht doch den Umweg über Medienstadt und Oberammergau mitnehmen darf, und jedes Mal ewig  auf die Anschlussbahn warten – es ist eine Sauerei, schimpfte er. Er werde das mal aufrechnen, da kommt so einiges zusammen an verplemperter Zeit. „Ich werde dann meine Monatskarte auch mal drei Tage später kaufen und dann sollen die Kontrollettis ruhig kommen“, echauffierte er sich mit Schaum vor dem Mund. Zahlen werde er natürlich nicht, das Bußgeld, lieber gehe er einen Tag in den Knast.

Jetzt habe ich den Auslöser für den Wutanfall gefunden. Auf dem Klo liegt seit wenigen Tagen ein vergilbtes Taschenbuch mit Proletarier-roten Lettern auf dem Cover: „Wie alles anfing“. Die Autobiografie des Bommi Baumann, zeitweise Bewohner der Kommune 1(wenn er nicht gerade im Knast saß), Kollege von Rainer Langhans, tief verhaftet in der 68er-Szene. Was der damals frei weg von der Leber schrieb und 1975 in erster Auflage von der Bundesdeutschen Polizei konfisziert und eingestampft wurde, musste bei meinem Mann Eindruck hinterlassen haben. Es war irgendwie erstaunlich aktuell.

„Die Revolution machst du auch für dich selber… dass du irgendwie in die richtige Bahn kommst.“ Unglaublich! Was wusste der Baumann von unserem heutigen Bahn-Drama? Drei Seiten später im Buch schimpfte der: „Gerade die deutsche Arbeiterklasse ist immer wieder verschaukelt worden, sei es nun von den Sozis oder von Mad-Hitler…und da ist klar, dass sie auf nichts mehr einsteigen“.

Ha! Sehr gern würden die vielen Proletarier (heißt jetzt Pendler, glaub ich) heute auch in nichts mehr einsteigen, wie gesagt, verschaukelt von der S-Bahn werden sie oft genug, aber was bleibt ihnen übrig. Da haben die Kommunarden, die Stadtguerilla, damals leider nur halbe Sachen gemacht, hat der alten Dumpfbacke Bommi Baumann auch seine tolle Theorie nichts genützt: „Analyse machen und die Probleme da aufgreifen und verschärfen, wo sie für die Leute konkret sind, Tag für Tag.“

Ich stutzte. Das Buch müssen die auch bei der S-Bahn gelesen haben und seitdem geht denen alles konkret verschärft am A**** vorbei. Sitzt da eine übrig gebliebene linke Terrorzelle an den Hebeln im Stellwerk und übt von dort letzte Rache?

Und deshalb jetzt Yoga. Vom selben Flohmarkt wie Bommis Revoluzzer-Bibel stammt ein Buch aus den glorreichen Achtzigern. In Neonoutfits und mit Fönfrisuren erklären dort Mädels Yogaübungen, die nicht nur gegen Schleimbeutelentzündungen Wirkung entfalten sondern uns mit Ruhe und Ausgeglichenheit belohnen. „Ob Sie sich leicht erregen oder mit sich und der Welt unzufrieden sind: Yoga kann ihnen helfen!“

Na wunderbar, demnächst wird die S-Bahn ihre Züge mit sanftmütigen Yogatrainerinnen bestücken, die Gewürzblättertee anbieten und bei Entspannungsübungen anleiten. Wer es richtig macht, bekommt einen Bienchen-Stempel auf sein Ticket, beim zehnten gibt’s eine Fahrt gratis.

Was nicht garantiert, dass man pünktlich da ankommt, wo man hin will. Aber entspannt und glücklich. Und da haben wir der Achtundsechziger-APO etwas voraus: Die mussten dafür noch Sit-Ins in Rathäusern veranstalten. Da bleibt uns immerhin etwas erspart. Dank S-Bahn.

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