Von Alexander Fröhlich: Zur Sicherung verwahrt
Umstrittene Entscheidung: Landgericht Potsdam lässt Sexualstraftäter auch nach der Haft eingesperrt – Ein Fall für Bundesgerichte
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Potsdam - Ein mehrfach vorbestrafter Sexualstraftäter kommt trotz verbüster Haft nicht frei. Das Landgericht Potsdam verhängte am Donnerstagabend die nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen den 43-jährigen Harald Dieter E. Dessen Verteidiger will dagegen Revision einlegen. Damit landet der Fall – wie auch andere strittige Entscheidungen aus Berlin – vor dem Bundesgerichtshof.
Von E. gehe weiterhin eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit aus, sagte der Vorsitzender Richter Frank Tiemann. Es bestehe ein erhöhtes Risiko, dass der gebürtige Thüringer weitere Delikte begeht, vor allem Sexualdelikte. Das hatten im Prozess zwei Gutachter bestätigt. E. war im Jahr 2001 wegen erpresserischen Menschenraubes und Vergewaltigung zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte damals eine 20-Jährige in Seddin (Potsdam-Mittelmark) entführt und vergewaltigt. Die Strafe hat der gelernte Chemifacharbeiter verbüßt. Auf einstweilige Anordnung des Landgerichts saß er bislang vorläufig in der Haftanstalt Berlin-Tegel in Sicherungsverwahrung. Die Kammer hat sich die Entscheidung, die Sicherungsverwahrung nun nachträglich zu verhängen nicht leicht gemacht. Wegen „erhöhten Beratungsbedarfs“ wurde der Urteilsspruch auf den Abend verschoben. Das Problem: Im Dezember 2009 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg festgestellt, dass die rückwirkende Sicherungsverwahrung in Deutschland gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt, weil damit eine doppelte Strafe verhängt werde. Seither zerbrechen sich die Juristen den Kopf darüber, es gibt keine einheitliche Rechtsprechung. Einige Sexualstraftäter sind nach dem Straßburger Urteil bereits frei gekommen, andere nicht. In der vergangenen Woche legte die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf vor, der die nachträgliche Verwahrung bis auf einen eng begrenzten Bereich abschafft.
Zwar sei das Straßburger Urteil gleichrangig wie ein Bundesgesetz, widerspreche aber den Gesetzesregeln in Deutschland, sagte Tiemann. Die Sicherungsverwahrung sei gerade keine Strafe. Die Freiheitsrechte des Verurteilten hätten hinter den Schutz und die Rechte der Opfer zurückzutreten. „Es ist nur eine Fragen von Wochen, bis er wieder eine Sexualstraftat begeht“, sagte Tiemann. Tatsächlich hat E. nur mit kurzen Unterbrechungen von zehn Monaten stets im Gefängnis gesessen – wegen Vergewaltigung, Menschenraubs und Diebstahl. Kam der gelernte Chemiefacharbeiter frei, beging er kurz darauf die nächste Tat und überfiel brutal Frauen: So kidnappte er 1991 bei Leipzig zwei Mädchen und vergewaltigte eines in einer Gartenlaube. Zuvor hatte er sich in einem Zug an einem Mädchen vergangen. Später überfiel er eine Radfahrerin. Selbst im Gefängnis wurde er strafffällig, griff einen Mitgefangenen an und beging Nötigung gegen eine Gefängnis-Bedienstete. Eine von Zeugen belegte Aussage des Mannes in der Haft belegte für das Gericht dessen Gefährlichkeit: „Brauche ich Geld, nehme ich es mir. Brauche ich Sex, nehme ich mir eine Frau.“
Verteidiger Bodo Zielonka, der die Sicherungsverwahrung seines Mandanten für verfassungswidrig hällt, setzt weiter auf Formfehler: Weder in der Anklage, noch im Prozess vor zehn Jahren sei je die Sicherungsverwahrung zur Sprache gekommen. Richter Tiemann erklärte dagegen, im Hafturteil aus dem Jahr 2000 war die Gefährlichkeit maßgeblich dafür, dass E. zur psychiatrischen Behandlung in den Maßregelvollzug kam – allerdings aufgrund der Fehldiagnose eines Psychiaters. Damals war ihm eine Persönlichkeitsstörung bescheinigt worden. Im Maßregelvollzug stellten die Therapeuten dagegen nur eine „dissozialen Persönlichkeit“ mit Hang, Straftaten zu begehen, fest. Weil E. doch nicht psychisch krank ist, kam ins Gefängnis. Schon damals hätte „die Sicherungsverwahrung zwingend angeordnet werden müssen“, sagte Tiemann.
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