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Ausgependelt. Ein halbes Jahr lang ist Reiko Martin aus Seelow jeden Montag um 4.30 Uhr aufgestanden und zweieinhalb Stunden zur Arbeit nach Wolfsburg gependelt. Beinahe hätte er sich dort dauerhaft niedergelassen – jetzt ist er wieder zurück in Brandenburg.

© Klaer

Rückkehrer: Zurück aus dem Westen

Reiko Martin aus Seelow wollte sich in Wolfsburg eine Zukunft aufbauen. Doch dann kam er wieder nach Brandenburg. Das Land wirbt um Rückkehrer.

Von Matthias Matern

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Potsdam - Reiko Martin ist schon wieder zurück, zwar nicht in seiner Heimatstadt Seelow, aber immerhin im Land Brandenburg – dafür aber dauerhaft. Ein halbes Jahr lang hat der 27-Jährige in Wolfsburg bei einem Dienstleistungsunternehmen für die Automobilindustrie gearbeitet, ist jeden Montagfrüh um 4.30 Uhr aufgestanden, hat seiner Partnerin Lebewohl gesagt und sich auf den Weg in die Autostadt gemacht. Erst am Freitagnachmittag ging es wieder Richtung Osten, zweieinhalb Stunden Autofahrt bis in die Kreisstadt von Märkisch-Oderland.

„Eigentlich wollte meine Frau auch nach Wolfsburg kommen, doch sie ist im Öffentlichen Dienst und in Niedersachsen gab es keine freien Stellen“, erzählt Martin. Seit Ende Juli hat das junge Paar einen gemeinsamen Sohn. Das war Grund genug für Martin, sich nach einer neuen Stelle in seiner alten Heimat umzusehen – mit Erfolg. Statt bei Wolfsburg baut sich die Familie jetzt eine gemeinsame Zukunft in der Gegend von Potsdam auf.

Über die Aussichten am brandenburgischen Arbeitsmarkt war Martin zunächst skeptisch. „Ich hatte Bedenken, dass ich nichts Passendes finde. Man will ja schließlich keine zehn Schritte zurück machen.“ Letztlich aber ging es dann schneller als gedacht. Über das Internet ist der junge Vater auf die Stellenausschreibung der Potsdamer Niederlassung der Ferchau Engineering GmbH gestoßen. Das Unternehmen beschäftigt Ingenieure, Techniker und Technische Zeichner, die Industriebetrieben, etwa aus der Luft- und Raumfahrtbranche, dem Schienenfahrzeugbau oder dem Automotivebereich, für zeitlich begrenzte Projekte zur Verfügung gestellt werden. „Es war die erste Bewerbung und die hat gleich geklappt“, freut sich Martin. Zum ersten Oktober hat er bei dem Dienstleister begonnen – zu ähnlichen Gehaltsbedingungen wie in Wolfsburg.

Junge, gut qualifizierte Mitarbeiter wie Martin werden von Frank Eberst mit offenen Armen empfangen. Das Geschäft boomt, die Auftragsbücher sind voll – der Potsdamer Niederlassungsleiter von Ferchau sucht eigentlich fast ständig gutes Personal. „Wir haben derzeit 33 offene Stellen, die wir innerhalb des nächsten halben Jahres besetzen wollen“, berichtet Eberst. Eine Verknappung an zur Verfügung stehenden Fachkräften in der Region sei bereits deutlich zu spüren.

Schon vor rund zwei Jahren haben die Länder Berlin und Brandenburg den drohenden Fachkräftemangel analysieren lassen. Der gemeinsamen Fachkräftestudie zufolge werden im Jahr 2015 demnach voraussichtlich 273 000 Arbeitsplätze nicht besetzt werden können. Im Jahr 2020 sollen es 362 000 und 2030 voraussichtlich sogar 460 000 Arbeitsplätze sein, für die geeignete Bewerber fehlen. Gründe sind der allgemeine demografische Wandel, aber auch die anhaltende Abwanderung von Hochschulabsolventen. Zudem wird die Region von ihrer eigenen Geschichte eingeholt: Wie in ganz Ostdeutschland haben auch in Brandenburg nach der Wende bessere Job-Chancen und höhere Gehälter gut ausgebildete Fachkräfte scharenweise in die alten Bundesländer gelockt. Sogar Prämien hatte das Land den Abwanderungswilligen gezahlt. Nun soll ihnen die Rückkehr schmackhaft gemacht werden. Und die Chancen dafür stehen offenbar gar nicht so schlecht: Einer Studie des Leipziger Leibniz-Institut für Länderkunde aus dem Juli zufolge ist jeder Zweite, der aus den alten Ländern in die neuen zieht, ein Rückkehrer. Allein 2010 sollen es mehr als 40 000 gewesen sein.

Erst im vergangenen Jahr hatte der brandenburgische Landtag ein entsprechendes Rückkehrer-Konzept verabschiedet. Bereits bestehende lokale und regionale Initiativen, die bewusst rückkehrwillige Arbeitnehmer ansprechen, sollten besser vernetzt und ein landesweites Online-Portal geschaffen werden. Demnächst wird die Internetseite dem rot-roten Kabinett vorgestellt, noch im Oktober soll sie freigeschaltet werden. „Es soll nicht nur ein Jobportal sein, sondern auch für das Land werben“, sagt Florian Engels, Sprecher im Landesarbeitsministerium. In anderen ostdeutschen Bundesländern versucht man allerdings bereits wesentlich länger, verloren gegangene Fachkräfte zu einer Rückkehr zu bewegen. Sachsen-Anhalt etwa hat vor rund vier Jahren eine entsprechende Internetseite freigeschaltet, zudem eine Rückkehrer-Hotline eingerichtet. In Mecklenburg-Vorpommern hilft die Agentur MV4You sogar bereits seit mehr als zehn Jahren bei der Suche nach geeigneten Arbeitsstellen, Wohnungsanbietern und Maklern sowie freien Kita- oder Schulplätzen.

Für Ferchau-Niederlassungsleiter Eberst gehen solche Bemühungen indes nicht weit genug. „Im Alltag sind diese Initiativen in der Regel nicht wahrzunehmen“, meint er. Notwendig sei ein ganzes Bündel von Aktivitäten. Selbst buhlt das Unternehmen unter anderem mit Plakaten an Bahnhöfen um das Interesse der Auswanderer und sogenannten Fernpendler. Immerhin rund 42 000 Brandenburger arbeiten laut Arbeitsministerium jenseits der Hauptstadtregion und ihrer angrenzenden Bundesländer. Um ein Haar hätte auch Reiko Martin dauerhaft Brandenburg den Rücken gekehrt. Derzeit sucht er mit seiner Partnerin ein Haus in der Nähe von Werder. „Ich bin richtig froh, dass ich wieder zurück bin“, sagt der 27-Jährige. Viele andere Pendler, die er in Wolfsburg kennengelernt habe – zum Beispiel aus Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern – , hätten bereits aufgegeben, sich nach einer Stelle in ihrer alten Heimat umzuschauen, sagt Martin. „Die glauben, dass sie sowieso nicht das Richtige finden.“ Matthias Matern

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