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Brandenburg: Zurück im Adlerland
1876 brüteten Steinadler letztmals in der Mark. Jetzt entdeckt der „König der Lüfte“ wieder die alte Heimat
- Matthias Matern
- Christoph Stollowsky
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Sie standen an einem Acker bei Alt-Tucheband in Märkisch-Oderland und beobachteten Wildgänse: Zwei Vogelkundler von der Arbeitsgemeinschaft Berlin-Brandenburgischer Ornithologen. Plötzlich schnatterten die Gänse und blickten aufgeregt zum Himmel. Zwei Adler segelten zwischen Nebelschleiern heran. Den einen erkannten Wolfgang Koschel und Bernd Bischof sofort. Brettartig breite Flügen, Spannweite 2,50 Meter, bulliger Körper, keilförmiger Schwanz. Ein Seeadler. Toller Anblick, aber keine Seltenheit mehr in Brandenburg. Der andere aber – den hätten sie eher an Felswänden der Dolomiten oder im schwedischen Fjällen-Gebirge erwarte als über der Alten Oder. „Ein Steinadler!“, rief Bernd Bischof seinem Freund zu. Der riss das Fernglas hoch. Kein Zweifel. Es war der König der Lüfte.
Der Zeitpunkt dieser ungewöhnlichen Begegnung ist in der Staatlichen Vogelschutzwarte Brandenburg in Buckow (Landkreis Havelland) genau vermerkt. Es war am 14. Dezember 2013 um die Mittagszeit. Die zwei aus Berlin nach Alt-Tucheband angereisten erfahrenen Hobby-Ornithologen hatten ihr Erlebnis sofort der Fachwelt gemeldet. Es bestätigt Experten, die schon seit Längerem vermuten, dass Steinadler in absehbarer Zukunft in Brandenburg wieder heimisch werden könnten. „Man sieht diese majestätischen Vögel ja schon seit einigen Jahren bei uns ab und zu“, sagt der Präsident des Landesamtes für Umwelt und Gesundheit, Matthias Freude. Ihm selbst war das bereits vergönnt, vor einiger Zeit im Havelland. Offiziell registriert sind bislang aber nur wenige Beobachtungen: durchschnittlich ein bis drei pro Jahr.
„Wir wussten sofort, das ist eindeutig ein Steinadler“, sagt Wolfgang Koschel. Die Schwingen rund 30 Zentimeter kürzer als beim Seeadler, außerdem schlanker und nach Außen verjüngt. Der Schwanz abgerundet, das Federkleid tiefbraun. Nur eine halbe Minute konnten sie sein Flugbild genießen. Ruhig segelte dieser seltenste Vertreter der Adlerfamilie im Wind dahin, „wie mit dem Himmel verbunden“. Dann verschwand er im Dunst.
Adlerland Brandenburg. Etwa 160 Seeadler leben derzeit zwischen Spreewald und Uckermark. Falls nun noch der Steinadler hinzukommt, sind die Vorbilder für den stilisierten Roten Adler im gut 800 Jahre alten Landeswappen wieder komplett. Denn aquila chrysaetos, so sein lateinischer Name, wäre keinesfalls ein zugezogener Exot. Ebenso wie der Wolf oder Luchs, die im vergangenen Jahrzehnt langsam zurückgekehrt sind, gehörte auch der Steinadler bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zur gewohnten Fauna der Mark.
Steinadler waren damals von den Alpen bis zur Nord- und Ostseeküste verbreitet. Doch eine gnadenlose Ausrottungskampagne machte ihnen ein Ende. Da sie manchmal auch Lämmer, Hühner oder Gänse schlugen, galten die großen Greifvögel als Schädlinge. Mit Fallen, Giftködern und Gewehr brachte man sie zur Strecke oder zerstörte die Eier im Horst. Die Seeadler überstanden das in Brandenburg in wenigen Exemplaren. Das letzte Steinadler-Paar brütete 1876 in der Schorfheide. Seine Verwandten überlebten nur in den Felswänden der Alpen, wo sie schwerer zu jagen und ihre Horste sicherer waren. Doch auch dort setzte man ihnen heftig nach. „Mein erster Adler . . . der heiß ersehnte Schuss“, schrieb der alpenländische Heimatautor Ludwig Ganghofer noch um die Jahrhundertwende in seinen Adlerjagdgeschichten. 1925 wurde der Steinadler in Deutschland unter Schutz gestellt. Heute leben in Bayern noch 50 Brutpaare.
Halten konnten sich die Steinadler auch in den Gebirgsregionen Osteuroppas, Skandinaviens und in Schottland. Aber inzwischen finden sie offenbar auch langsam wieder am Flachland Gefallen. In Dänemark und auf Gotland sollen bereits mehrere Brutpaare leben. Vogelkundler gehen davon aus, dass es sich bei den in Brandenburg gesichteten Tieren um jüngere Vagabunden aus Skandinavien handelt, die möglicherweise auf der Suche nach neuen Revieren sind.
Der Leiter der Staatlichen Vogelschutzwarte Torsten Langgemach spricht von Gastvögeln. „Steinadler sind mit etwa fünf Jahren geschlechtsreif“, erklärt er. Danach bleiben sie ihrer Partnerin und ihrem Revier meist ein Leben lang treu – und das kann mehr als 30 Jahre dauern. Bei Vögeln ein biblisches Alter. Das Weibchen legt pro Jahr nur ein bis zwei Eier, die Jungvögel werden spätestens zur nächsten Balz aus dem Horst und Revier vertrieben. „Dann gehen sie auf eine Zerstreuungswanderung, wie einst unsere Handwerksgesellen“, sagt Langgemach. Bevorzugt in den Wintermonaten. Und geraten so auch nach Brandenburg.
Die Mark ist durchaus ein geeignetes Steinadlerland. Es gibt extrem dünn besiedelte Gegenden, große, alte Bäume, in die sie gerne ihre Horste bauen – und genügend Niederwild wie Kaninchen, Wildgänse oder Füchse. „So ein Steinadler sieht zehnmal so gut wie wir Menschen und hebt mit seinen dolchähnlichen Klauen ein Beutetier hoch, das ebenso schwer ist wie er selbst – bis zu 6,5 Kilogramm“, sagt Adlerexpertin Brigitte Kraft vom Landesbund für Vogenschutz Bayern (LBV). Sie hat schon viele der mächtigen Vögel im Fernglas bewundert. „Wäre ja toll, wenn das auch in Brandenburg wieder möglich wäre“, sagt sie – und schwärmt vom spektakulären Girlandenflug der balzenden Paare. „Wenn sie auf- und absteigen und manchmal sogar eine Rolle rückwärts machen.“
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