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Brandenburgs Justizminister Stefan Ludwig (Linke).

© R. Hirschberger/dpa

Justiz in Brandenburg: Zustände des Mangels

Während die rot-rote Landesregierung in der Bildung und bei der Polizei mehr Geld für zusätzliches Personal ausgibt, wird in der Justiz weiter gespart. Dort sieht man die Grenze der Belastbarkeit erreicht.

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Potsdam - Nach millionenschweren Programmen in der Bildung, mehr Personal für Kitas, Schulen und der Polizei macht nun auch die Justiz auf ganzer Breite und von oberster Stelle Druck auf die rot-rote Landesregierung. Justizminister Stefan Ludwig (Linke) sieht sich mit düsteren Warnungen zur Zukunft der Justiz konfrontiert.

Richter und Staatsanwälte demonstrierten

Dabei sind Klagen über die Lage an den Gerichten und Staatsanwaltschaften nicht neu. Vor zwei Jahren demonstrierten Richter und Staatsanwälte gegen den Sparkurs der Regierung in Potsdam – es war ein in der Landesgeschichte einmaliger Vorgang. Dass es überhaupt dazu kommen konnte, war koalitionsintern von der SPD vor allem dem damaligen Justizminister Helmuth Markov (Linke) angelastet worden. Inzwischen wird in der Justiz eine Neuauflage der Demonstrationen nicht mehr ausgeschlossen. Denn geändert hat sich seit 2015 wenig.

Das bekommt auch Markovs Nachfolger immer wieder zu hören. Etwa von Ramona Pisal. Die Potsdamerin hatte Anfang Mai ihr am Amt als neue Präsidentin des Landgerichts Cottbus angetreten und kritisierte bei dieser Gelegenheit die Lage dort. In der „Lausitzer Rundschau“ (LR) ließ sie sich mit den Worten zitieren, dass die Menschen nur dann Vertrauen in den Rechtsstaat setzen, wenn sie längere Zeit damit gute Erfahrungen machen. Dazu gehöre aber, in angemessener Zeit zu seinem Recht zu kommen. Die notwendigen Voraussetzungen dafür vorzuhalten sei Aufgabe des Staates. Und aus Sicht der Justiz versagt der Staat – hier die Landesregierung – genau dabei.

Richterbund: "Arbeitsfähigkeit der Justiz wird auf viele Jahre zerstört"

Die Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Brandenburg, Claudia Odenbreit, sagte nun: Sollten Landesregierung und Landtag weiter mit dem Gegensteuern warten und ihre Sparpolitik fortsetzen, „wird die Arbeitsfähigkeit der Justiz auf viele Jahre zerstört“ werden.

In der ordentlichen Gerichtsbarkeit – also an Amtsgerichten, Landgerichten und am Oberlandesgericht – seien in den vergangenen Jahren mehr als zehn Prozent der Richterstellen abgebaut worden, noch mehr Stellen im mittleren Dienst. Parallel würden „immer mehr sehr komplexe Verfahren“ geführt. Dadurch hätten sich Aktenberge aufgebaut, „die gerade an den Landgerichten mit dem vorhandenen Personal nicht mehr in zumutbarer Zeit abgebaut werden können“. Auch bei den Staatsanwaltschaften habe es es einen erheblichen Stellenabbau gegeben, sie seien deutlich überlastet, die Verfahren dauerten immer länger.

Auch der Präsident des Oberlandesgerichtes (OLG), Klaus-Christoph Clavée, meldete sich in den vergangenen Wochen mehrfach zu Wort. Im Hintergrund trommelt er in der Landespolitik, bis hoch zu Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) für eine bessere Ausstattung. Clavée bezeichnete die Politik des Landes als fatal, weil beim notwendigen Personalumbau Jahre vertan worden seien.

Gegenüber der „Märkischen Oderzeitung“ (MOZ) erinnerte Clavée daran, dass Justizstaatssekretär Ronald Pienkny selbst 2014 errechnet hatte, dass pro Jahr 30 Neueinstellungen nötig seien. „Um allein in der ordentlichen Gerichtsbarkeit den Stand zu halten, brauchen wir pro Jahr mindestens 19 neue Richterinnen und Richter“, sagte der OLG-Präsident. Doch in diesem Jahr könnten es nur vier Neueinstellungen sein. Dabei gingen in den nächsten zehn Jahren 190 Richter in den Ruhestand. „Wir hätten schon längst Personal einstellen müssen, um die Kompetenzen zu erhalten, die wir bei den Gerichten brauchen und die uns in die Lage versetzen, Bestände abzubauen“, sagte Clavée.

Ein Schwerpunkt: innere Sicherheit

Es sei zu befürchten, dass in Brandenburg bald Zustände herrschten, bei denen man „gar nicht mehr auf den Mangel hinweisen muss, weil er schlicht offensichtlich sein wird“. Als Beispiel nannte der OLG-Präsident die innere Sicherheit, ein Schwerpunkt der Landesregierung, während bei der Staatsanwaltschaft Personal abgebaut wird. „Wenn die Polizei wieder ausgebaut wird und mehr Fälle bei der Staatsanwaltschaft landen, kommen wir in eine Situation, in der wir das nicht mehr bewältigen“, sagte Clavée.

Zwar stimmt Justizminister Ludwig der Diagnose über die Arbeitsbelastung an den Gerichten zu, findet aber, dass noch Luft ist: Die Grenze sei bei den Richtern noch nicht erreicht, wie er der LR sagte. Er werde das aber in der Landesregierung ansprechen und prüfe, ob beim Personal nachgesteuert werden muss.

Wer in Rente geht, für den kommt kein Ersatz

Brandenburgs Richterbund-Vorsitzende Odenbreit widerspricht: Die Grenze der Belastbarkeit sei längst überschritten. Der weitere Personalabbau werde „das Problem auf dramatische Weise verstärken“. Wer in Pension gehe, für den komme kein Ersatz. Durch die Personalnot bei den Staatsanwaltschaften dauere es länger, bis vor Gericht Anklagen eingereicht werden. „Bei den Gerichten droht die Verjährung von erheblichen Straftaten“, warnte Odenbreit.

Sie argumentiert sogar mit Brandenburgs Landesverfassung, deren Inkrafttreten sich 2017 zum 25. Mal jährt. Dort ist als „Grundrecht vor Gericht“ festgelegt, dass jeder Anspruch auf ein zügiges Verfahren hat. Mit dem sogenannten Justizgewährungsanspruch ist das auch im Grundgesetz verankert, egal ob es um ein Begehren des Bürgers geht oder er selbst angeklagt ist. Odenbreits Diagnose: „Diesen Anspruch kann die Justiz schon jetzt nicht mehr erfüllen.“ Bei den Verfahrensdauern sei Brandenburg oft Schlusslicht, an den Landgerichten dauerten Prozesse doppelt so lange wie im bundesweiten Durchschnitt.

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