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Brandenburg: Zuversicht und Hamsterkäufe

Trotz Katastrophenalarm in Wittenberge bleibt die Bevölkerung gelassen: Wird schon nicht so schlimm werden

Von Claus-Dieter Steyer

Wittenberge. Für die Prignitz wurde gestern Katastrophenalarm ausgelöst. Das an die Elbe angrenzende Gebiet zwischen der Landesgrenze zu Mecklenburg-Vorpommern, der Bundesstraße 5 und der Bundesstraße 107 ist seit Mittag für den Verkehr gesperrt. Der Wasserstand am Pegel Wittenberge war auf 6,56 Meter gestiegen. In Wittenberge und Umgebung müssen eventuell 50 000 Menschen ihre Häuser verlassen. Die meisten wollen aber nicht.

„Die müssen mich entweder besoffen machen oder mich raustragen. Ich gehe jedenfalls nicht freiwillig.“ Thorsten Specht aus dem kleinen Dorf Breetz bei Wittenberge regt sich fürchterlich auf. Er will auf keinen Fall sein wertvolles Haus wegen des angekündigten Hochwassers im Stich lassen. Auch Nachbar Heinz Mauritz möchte sich der Evakuierung widersetzen. Es wäre doch nicht schlimm, einige Zeit in Gummistiefeln durch das Wasser zu waten, sagt der Landwirt. Selbst sein Bulle könnte es eine Weile im feuchten Untergrund aushalten. „Außerdem kommt das Hochwasser gar nicht zu uns“, sagt er voller Überzeugung.

Brigitte Oppenhäuser erzählt, dass ihre Familie erst vor einem Jahr das Fachwerkhaus saniert habe. „Wir gehen deshalb nicht weg, sondern schützen es.“ Eigentlich sollte der Ort bis gestern 18 Uhr evakuiert sein. Doch auf Zwangsmaßnahmen verzichtete die Polizei vorerst. Hochwasserexperten sahen aber gerade für das nur 21 Einwohner zählende Dorf große Gefahr. Es werde bei einem Deichbruch von zwei Seiten regelrecht in die Zange genommen. Nördlich fließt die harmlose Löcknitz und im Süden droht die Elbe.

In der 22 000 Einwohner zählenden Stadt Wittenberge sind die Menschen noch nicht zur Räumung ihrer Häuser aufgefordert worden. Aber die Vorbereitungen laufen. Vor allem in der Nähe des Deiches schleppen freiwillige Helfer und Feuerwehrleute Sandsäcke und Bretter, um Keller sowie die Türen und Fenster im Erdgeschoss abzudichten. Im Rathaus verschwinden Akten und Ordner in blauen Säcken. Lastwagen bringen sie an einen sicheren Ort. Vot einer Überschwemmung wäre auch das Rathaus nicht sicher.

Hochbetrieb herrscht nicht nur am Deich, sondern auch in der großen Schwimmhalle. Alle Kinder erhalten hier seit gestern freien Eintritt, damit sich ihre Eltern ungestört auf den Kampf gegen das angekündigte Hochwasser konzentrieren konnten. Dazu gehört auch der Vorrat an Lebensmitteln. „Es wurde zum Teil wie zu Weihnachten eingekauft“, heißt es von der Geschäftsführung des großen Einkaufszentrums an der Wahrenberger Straße. Mineralwasser, Milch, Schokolade, Teigwaren, haltbare Wurst, Bananen und nicht leicht verderbliches Obst seien vor allem abgesetzt worden.

Die Fenster des „Getränkeshops“ in der Nähe des Hafens sind völlig vernagelt. Geöffnet ist aber doch. Drinnen befinden sich einige Kästen mit Bier und Limonade auf dem Boden. „Die meisten Waren stapele ich eine Etage höher“, sagt die Chefin. „Ich hole nur so viel her, wie ich in einer Stunde verkaufen kann.“ Zwei Meter hoch würde die Elbe im Laden stehen, falls der Deich wirklich brechen würde. Das haben ihr Fachleute gesagt.

Museumsdirektor Oliver Hermann steht in einem fast völlig leeren Gebäude. „Keller und Erdgeschoss sind schon seit Tagen frei“, sagt er. „Wir hatten schließlich genügend Zeit, uns auf die Flut einzustellen.“ Das letzte Hochwasser habe Wittenberge 1838 getroffen. „Damals zeigte der Pegel 7, 44 Meter an, weshalb die Deiche heute bei 7,50 Meter liegen.“ Niemand habe sich vorstellen können, dass sie Elbe einmal so hoch steigen würde. Der Historiker sieht dennoch wie so viele Menschen in Wittenberge und Umgebung keine Gefahr, obwohl der Pegel morgen schon bei 7,75 Meter liegen soll. „Es wird schon nicht so schlimm kommen“, sagt er.

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