zum Hauptinhalt

Homepage: Abbild der Gesellschaft

Gewalt im Fußball: Babelsberger Fan-Betreuer will in Seminar Sozialarbeitern neue Wege aufzeigen

Stand:

Gewalt und Fußball – diese Kombination sorgt derzeit für Schlagzeilen. Erst wurde in Italien ein Polizist bei Ausschreitungen nach einem Fußball-Spiel getötet, dann kam es auch in Leipzig zu Straßenschlachten zwischen Hooligans und Ordnungskräften. Als Folge wurden in Sachsen am Wochenende sämtliche Fußballspiele abgesagt. Ist das ein Weg, um das Problem zu lösen? Der Betreuer des Babelsberger Fan-Projektes, Gregor Voehse, stimmt dem zu, fordert aber noch mehr. Im kommenden Semester wird er seine Erfahrung an der FH Potsdam vermitteln.

„Ich fand es sehr clever, den Spieltag in Sachsen abzusagen“, so der Sozialarbeiter Voehse. „Auch wenn ich damit im Gegensatz zu vielen Kollegen stehe.“ Der Ansatz, den Randalierern ihr „Spielzeug“ wegzunehmen, sei richtig. „Wir halten mal Ruhe, denken über die Situation nach – das ist ja auch in der Pädagogik ein oft genutztes Mittel.“ Darüber hinaus hat Voehse allerdings wenig Positives über die Maßnahmen rund um die Betreuung von Fußballfans zu sagen. Voehse selbst arbeitet in Potsdam seit fünf Jahren als Ein-Mann-Fan-Projekt. „In Leipzig ist ein Betreuer alleine für zwei verfeindete Fangruppen zuständig. In Jena gibt es nur eine Stelle, in Halle 1,5, bei uns eine 1,3-Stelle“, erklärt Voehse. „In jeder anderen Maßnahme der Sozialarbeit ist es selbstverständlich, zwei Mitarbeiter einzusetzen, die sich gegenseitig unterstützen.“ Das fordert er auch für den Fußball. Damit alleine ist es aber aus seiner Sicht noch nicht getan.

„Die Sozialarbeit muss politischer werden“, fordert der in Hessen aufgewachsene Praktiker. Deshalb wird er im Sommersemester ein Seminar an der FH Potsdam halten – auf Wunsch der Studierenden. Seine Ansichten unterscheiden sich von dem, was andere Soziologen lehren, bei den Studierenden scheint das jedoch anzukommen. „Was in den Fußball-Arenen abgeht ist hochpolitisch. Mit einer Kuschel-Ideologie kommt man da nicht weiter“, macht Voehse klar, der von sich selbst sagt, dass er gerne provoziert.

Was will der ehemalige Spediteur und Autodidakt Voehse den Studenten der FH vermitteln? Er will seine Sicht zu Gewalt und Sport weitergeben. „Aggression war immer schon da“, sagt Voehse. Es gebe allerdings eine natürliche Tötungshemmung unter den Menschen. Um diese zu überwinden, brauche es einen Entfremdungsmechanismus. „Bullen sind Schweine. Auf sie darf geschossen werden“, zitiert Voehse die ehemalige RAF-Terroristin Ulrike Meinhof als Beispiel. Ähnlich verhalte es sich heute im Stadion mit den Polizeikräften. Die sind in ihrer Schutzkleidung entmenschlicht und nicht mehr als Individuum erkennbar. Das erleichtert es Schlägern, sie als Feindbild zu identifizieren und jegliche Zurückhaltung fallen zu lassen.

Der Fußball soll eigentlich zeigen, wie Gewalt über Regeln und Disziplin ersetzt werden kann. In den vergangenen 30 Jahren entwickelte sich am Rande des Spielfeldes allerdings wieder die reale Gewalt. „Es soll wieder getötet werden“, beobachtet Voehse. Die Gewalt der Fans sei allerdings nur ein Indikator eines gesellschaftlichen Problems. „Ich sehe das als negative Folge der Globalisierung“, sagt Voehse. Der Irak-Krieg und die Selbstmordattentäter hätten den Jugendlichen wieder eine Sinnhaftigkeit des Todes vermittelt. „Unsere Elterngeneration wollte für das Vaterland sterben. Wir wollen eigentlich für gar nichts sterben. Für die heutigen Jugendlichen gilt der Tod aber wieder als Form einer Lösung“, meint Voehse. Er verweist auf die Amokläufe von Schülern wie zuletzt in Emsdetten. Die Gewaltbereitschaft nehme zu. Das könne er auch unter seinen Jugendlichen beobachten. Durch moderne Stadien, wie in den Fußball-Bundesligen, lasse sich diese Gewalt verbannen. „Doch die Gewalt sucht sich andere Wege“, sagt Voehse. Sie weicht aus, beispielsweise in die Oberligen, wo sich Vereine und Länder keine so hohen Sicherheitsvorkehrungen leisten können oder wollen.

Und was will er dagegen tun? „Als Fan-Beauftragter habe ich Möglichkeiten“, hat Voehse festgestellt. Er ist immer mittendrin, erlebt Gewalt und Aggressionen bei jedem Spiel hautnah. Er kann einwirken und vermitteln. „Die Jugendlichen sind auf der Suche nach Identität“, hat Voehse beobachtet. Im Fan-Laden bietet er deshalb ein politisches Seminar an. Thema: Macht – Herrschaft – Staat. „Dass Politik auch etwas mit Macht zu tun hat, das wird in der Schule doch gar nicht vermittelt“, so Voehse. Auch das Projekt „Fußball-Fans beobachten Polizei“ ist Teil dieser politischen Fan-Arbeit. Die Fans beauftragten unabhängige Rechtsanwälte, das Verhalten der Polizei bei den Auswärtsfahrten der Babelsberger zu dokumentieren. Erstmals wurde so der öffentliche Blick auf die Arbeit der Polizei gelenkt, die zuvor nur durch die Ordnungshüter selbst überwacht wurde.

Kontrolle der Gewalten – das ist für den Fan-Beauftragten ein Weg, seinen Jugendlichen die Funktion von Politik näherzubringen. Ein freilich nicht ungefährlicher Weg. „Ich habe den Jugendlichen klar gemacht, dass die Aktion den Fan-Laden kosten kann – und meinen Job“, so Voehse. Dass er es trotzdem mit ihnen durchgezogen hat, habe ihm den Respekt der Jugendlichen eingebracht. So sieht sich Voehse auch als Vorbild. „Als Erwachsene sind wir ja heute keine Vorbilder mehr. Wir sichern uns bei jeder Entscheidung ab. Nur nicht zu rauchen macht mich ja noch nicht zu einem Vorbild“, so Voehse.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })