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Homepage: Abschied vom ethnischen Nationalstaat Ethnizität und Globalisierung am Balkan

Griechenland im Süden, Bulgarien im Nordosten und Serbien irgendwo dazwischen. Auf den ersten Blick zeigt die Landkarte keine Besonderheiten, lässt vielmehr in groben Zügen die politischen Formationen des Balkans erkennen.

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Griechenland im Süden, Bulgarien im Nordosten und Serbien irgendwo dazwischen. Auf den ersten Blick zeigt die Landkarte keine Besonderheiten, lässt vielmehr in groben Zügen die politischen Formationen des Balkans erkennen. Das Datum der Entstehung der Landkarte jedoch offenbart Spannendes: Bereits 1802 wurde sie angefertigt – als das von ihr bezeichnete Gebiet noch zum Osmanischen Reich gehörte, lange also bevor die Nationalstaaten Südosteuropas gebildet wurden. Mithin dokumentiert die Karte trefflich die Genese der bis heute währenden Auseinandersetzungen in der Region.

Für Sabine Riedel (Berlin) ist sie aber vor allem Beweis für die Konstruktion von Ethnizität. Anhand vage definierter Sprachgrenzen seien, so Riedel, im 19. Jahrhundert ethnische Identitäten gestiftet und neue Nationalstaaten zugeschnitten worden. Wie die Politikwissenschaftlerin bei einem Symposium zur „Ethnizität in der Globalisierung“ des Instituts für Geographie an der Universität Potsdam und der Münchner Südosteuropa-Gesellschaft am Wochenende ausführte, wurden wichtige Faktoren wie Religionszugehörigkeit und Selbstwahrnehmung weitgehend ignoriert, als seinerzeit neue Völker geformt und Grenzen gezogen wurden.

Auch in sozialistischer Zeit seien die so gezüchteten ethnischen Gegensätze nicht abgebaut worden, bestünden vielmehr bis heute. Riedel sieht eine Lösung der Konflikte daher nur darin, dass die Vorstellung vom ethnisch begründeten Nationalstaat verabschiedet wird und eine politischen Konzeption der Staaten nach liberaldemokratischen Gesichtpunkten an ihre Stelle tritt.

Heute ist die Selbstwahrnehmung, ebenso wie die Fremdwahrnehmung, in der Diskussion um ethnische Identität ein Schlüsselbegriff. So hält etwa Corina Anderl (Universität Potsdam) die Gruppe der Roma für ein Konstrukt, da diese selbst sich nicht als homogene Gemeinschaft sehen.

Bei dem Symposium in den Räumen der Universität am Neuen Palais wurde immer wieder diskutiert, ob die ethnische Zuschreibung einer Bevölkerungsgruppe wirklich vollständig konstruiert ist oder ob sich objektive Kriterien für eine solche Zuschreibung finden lassen – eine noch lange nicht abschließend beantwortete Fragestellung der Ethnologie. Die Konferenz begnügte sich jedoch nicht mit theoretischen Untersuchungen von Geschichte und Gegenwart, sondern ließ Politik und Hilfsorganisationen zu Wort kommen, was ebenso wie ihr interdisziplinärer Charakter angeregte und kontroverse Diskussionen provozierte. Zum Beispiel darüber, wie sich der Prozess der Globalisierung auf ethnische Identitäten auswirkt.

Von den einen wird dieser als weltweite Gleichmacherei verteufelt, von den anderen als Weg zur globalen Chancengleichheit gepriesen. Für Christian Giordano, Professor für Sozialanthropologie an der Universität in Freiburg (Schweiz), differenzieren beide Einschätzungen zu wenig. Er beobachte vielmehr eine verstärkte Betonung regionaler Aspekte, die sich – auf freilich wiederum großteils konstruierte – Traditionen beriefen. Gerade weltweit operierende Konzerne versuchten, so Giordano, auf die Karte ethnischer Differenz zu setzen. So gelte in der lukrativen Tourismusbranche Ethnizität „als Metapher für Authentizität“.

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