LEIPZIGER BUCHMESSE: Abstellgleis Mordmomente
LEIPZIGER BUCHMESSE Christian Beck hat es aufgegeben, sich als Schriftsteller zu betätigen. Auch wenn jetzt noch einmal eine alte Erzählung über einen Anschlag auf ein Luxusbordell in Amsterdam gedruckt wird, zieht er es vor, in Göttingen Gebrauchsanweisungen für Haushaltsgeräte zu übersetzen.
Stand:
LEIPZIGER BUCHMESSE Christian Beck hat es aufgegeben, sich als Schriftsteller zu betätigen. Auch wenn jetzt noch einmal eine alte Erzählung über einen Anschlag auf ein Luxusbordell in Amsterdam gedruckt wird, zieht er es vor, in Göttingen Gebrauchsanweisungen für Haushaltsgeräte zu übersetzen. Banaler geht es nicht in Arnon Grünbergs Roman „Der Vogel ist krank“. Mit diesem Ausspruch verkündet Becks Freundin die Katastrophe, auf die alles zuläuft. Ihr Glück ist seine Aufgabe, sich selbst nimmt er dabei bis zur Selbstverleugnung zurück. „Wer sich selbst glücklich machen will, landet auf dem verrosteten Abstellgleis, die Jagd nach dem eigenen Glück ist gleichbedeutend mit dem Abstieg in die Hölle“, glaubt Beck. Arnon Grünberg, 1971 in den Niederlanden geboren und seit einigen Jahren in New York lebend, hat rasch mit atemberaubenden Romanen und bösen Zeitungskolumnen Karriere gemacht. Er ist wohl der einzige Autor, der zwei Mal den Debüt-Preis gewonnen hat, weil er mit seinem Roman „Amour fou“ unter dem Pseudonym Marek van der Jagt angetreten ist. Grünberg hat ein Faible für tragische und groteske Figuren. Christian Beck erträgt es klaglos, dass seine todkranke Freundin einen algerischen Asylbewerber heiratet und er dafür sein Bett unter der Garderobe aufschlagen muss. Die Selbstverleugnung Becks, seine abgrundtiefe Toleranz, seine Vorliebe für schrundige, hässliche Prostituierte verlangen dem Leser einiges ab. Dafür entschädigt Grünbergs Stil, witzig, lapidar, melancholisch. Becks Unterwürfigkeit wird extrem ausgebreitet, doch dann gewinnt der Roman an Fahrt und endet in einem furiosen, unerwarteten Finale. Rolf Brockschmidt Arnon Grünberg: Der Vogel ist krank. Roman. Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten. Diogenes Verlag, Zürich. 496 S., 22,90 €. Der Fan ist Ende 60, er trägt Monokel. Der Fan ist ein pensionierter Internist, krank, Prostatachef. Er schickt Connie Palmen eine Kiste Champagner, dann noch eine, dazu einen bittenden, an ihr schlechtes Gewissen appellierenden Brief, einem Todkranken keinen Wunsch abzuschlagen. In einem Amsterdamer Hotel, wo sie ihn tatsächlich trifft, gesteht er ihr: „Ich wollte sie ermorden.“ Connie Palmen hat diese verstörende Begegnung zum Angelpunkt ihres Essays „Idole und ihre Mörder“ (Iets wat niet bloeden kann) gemacht: der vornehme Herr, der sie ermorden wollte. Aus Liebe, fügte dieser hinzu. Palmen, 1955 im holländischen Odilienberg geboren, schöpft ihre Stoffe meist aus dem eigenen Erleben. Ihr erfolgreichstes und anrührendstes Buch, „I.M.“, reflektiert den Herzinfarkttod ihres Lebensgefährten Ischa Meijer, der in Holland ein Starjournalist war. Im neuen Buch, das mit seinen 100 groß gedruckten Seiten mehr ein Büchlein ist, löst sie sich schnell von ihrer Geschichte, kommt auf die bekannten Mörder an Prominenten zu sprechen: die von Pim Fortuyn, Gianni Versace, John Lennon. Dem Thema Stalking, das vom „Stern“ bis zu den Boulevardmagazinen des Fernsehens bereits unzählige Male behandelt wurde, weil sich darin die zugkräftigen Ingredienzien Stars und Crime vereinen, fügt sie eine Metaebene hinzu. Sie wolle, schreibt Palmen, eine „Philosophie des modernen Mordens“ schreiben. Die Morde machten das Unvermögen deutlich, in den heutigen Gesellschaften zwischen öffentlichem Schein und Sein zu unterscheiden. Eine kurzweilige, geistreiche Analyse der Mediengesellschaft. Barbara Nolte Connie Palmen: Idole und ihre Mörder. Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers. Diogenes Verlag, Zürich. 103 Seiten, 16,90 €.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: