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Von Guido Berg: Abstieg vom Berg: Der wunderschöne Tag von Potsdam Der erste Spatenstich für das Landtagsschloss gerät zum Volksfest einer vitalen Demokratie

Innenstadt - Im Schatten des Fortunaportals noch einmal die frohe Zukunftzuversicht eines DDR-Pioniernachmittags. Ein Bauarbeiter-Senioren-Chor schmettert ungebeugt ein Lied, dass im Hirn eines jeden klebt, der einmal das blaue Halstuch trug: „Heut ist ein wunderschöner Tag, die Sonne lacht uns so hell “Lutz Boede, genannt „Revolutz“, dem die Ehre zuteil wird, von jedem Polizisten mit Namen angesprochen zu werden, assoziiert ebenso in diese Richtung und brüllt in die Szenerie: „Die DDR lebt!

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Innenstadt - Im Schatten des Fortunaportals noch einmal die frohe Zukunftzuversicht eines DDR-Pioniernachmittags. Ein Bauarbeiter-Senioren-Chor schmettert ungebeugt ein Lied, dass im Hirn eines jeden klebt, der einmal das blaue Halstuch trug: „Heut ist ein wunderschöner Tag, die Sonne lacht uns so hell “

Lutz Boede, genannt „Revolutz“, dem die Ehre zuteil wird, von jedem Polizisten mit Namen angesprochen zu werden, assoziiert ebenso in diese Richtung und brüllt in die Szenerie: „Die DDR lebt!“ Auch Finanzminister Helmuth Markov (Die Linke) ist angetan und beginnt seine Rede anlässlich des ersten Spatenstiches für den Bau des neuen brandenburgischen Landtages in Gestalt des Stadtschlosses so: „Heute ist wirklich ein wunderschöner Tag.“ Es sei „etwas Wunderbares“, wenn sich Bürger einmischen, damit die Wunde wieder geschlossen wird, die der Zweite Weltkrieg gerissen hat. Lutz Boede wechselt nun in einem historischen Salto rückwärts die Epoche und ruft: „Nie wieder Preußen!“

Geschichte kann Markov auch, er erinnert, dass solche Größen wie Emile Zola seinerzeit gegen den Eiffelturm demonstrierten und heute sei der das Wahrzeichen von Paris. Auch beim Landtagsschloss würden die Touristen nicht schauen, ob da „ein Bogen ein Grad mehr oder weniger gebeugt ist“, glaubt Markov. Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) lobt seinerseits „eine wunderbar gelungene Annäherung an die historische Fassade“ – und wird unterbrochen durch einen fordernden Ruf aus der Menschenmenge: „Echter Knobelsdorff!“ Das wiederum ruft die Boede-Jünger in den schwarzen Kapuzen-Overalls auf den Plan. Sie skandieren: „Nobelsdorff! Nobelsdorff!“ – Auf dem sonnenüberfluteten Alten Markt diskutieren plötzlich Menschen miteinander, die sich sonst höchstens im Mondschein begegnen würden.

Als Redner vorm Herrn erweist sich wiederum Matthias Platzeck, seine kräftige Stimme schallt über den Platz. Das Parlament sei „das Herzstück der parlamentarischen Demokratie“. Der Ministerpräsident ruft den Hunderten auf dem Alten Markt die unwürdige Situation vor Augen, wenn am Fuße des Brauhausberges die Demonstranten ihre Forderungen nach oben rufen müssen, zum „Kreml“, dem jetzigen Landtagssitz. Nach Bauende in drei Jahren werden sich Bürger und Politiker dagegen am Alten Markt „in Augenhöhe“ begegnen. Platzeck: „Es ist gut, vom Berg wegzukommen “ „ in ein Schloss, haha“, ergänzt Lutz Boede, gegen den Mikrofon-unterstützten Ministerpräsidenten anbrüllend. Platzeck lobt im Weiteren „die Initialzündung“, die das Fortuna- Portal darstellte, finanziert durch TV- Moderator Günther Jauch. Und er dankt Hasso Plattner, dessen Millionen-Spende erst eine Fassade à la Knobelsdorff ermöglicht. Platzeck: „Ohne deinen Anruf wäre das nicht gegangen.“ Auch Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) würdigt „Tatmenschen“ wie Jauch. Dessen Fortuna-Portal habe „Bilder ermöglicht, wie das einmal aussehen könnte“. Dazu Ko-Kommentator Boede, der als Die-Andere-Aktivist gern mal nach links stichelt: „Danken Sie auch Dr. Scharfenberg. Ohne ihn wäre es nichts geworden.“

Der erste Spatenstich ist der Moment der Fotografen. In einer Reihe aufgestellt schippen hohe Herren eigens angefahrenen frischen Kies mit eigens dafür angeschafften Spaten vor sich her. Unweit steht mit verschränkten Armen und einem goldenen Ring im Ohr Bauarbeiter Karsten Bonach. Auf die Frage, was der Landtagsbau für ihn bedeutet, antwortet er angenehm kühl und einsilbig: „Einkommen.“

Barbara Kuster, Sturmspitze der Bürgerinitiative Mitteschön, steht an einem Tisch und hält ein Glas Sekt in der Hand. Die Forderungen nach einem originalen Knobelsdorff und seitlichen Eingängen zum Innenhof würden ab nächster Woche wieder laut. „Heute wird gefeiert“.

Hans-Jürgen Scharfenberg kriegt es von allen Seiten; als der Landtagsabgeordnete zurück zum „Kreml“ will, muss er an Sprechchören und Transparenten vorbei: „Kein IM als OB!“ Beim Stadtschloss war er es, der von allen den längsten Weg gehen musste. Scharfenbergs Stadtfraktion verschaffte dem Bebauungsplan fürs Schloss eine Mehrheit. Er verweist auf die Befragung, bei der sich die Bürger für die Mitte als Landtagsstandort aussprachen. Dem habe er sich gebeugt. Und er verweist auf das millionenschwere Sanierungsprogramm für Schulen und Kitas, das städtische Zugeständnis für die Aufgabe des Widerstandes gegen das Schloss.

Noch lange, die Politiker sind schon längst gegangen, steht Architekt Kulka auf dem Alten Markt. Er unterscheidet nicht zwischen Journalisten und Bürgern; längst nicht mehr genervt, wie noch vor Wochen, erklärt er immer wieder gern sein Werk. Streit gehört dazu, sagt er, „den muss ein Architekt aushalten“.

Nicht nur er.

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