
© M. Thomas
Landeshauptstadt: Abstimmung mit Strohhalmen
Der Schweizer Jan Rutishauser gewann das „Wortgefecht“. Den Wettstreit soll es künftig öfter geben
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Babelsberg - Ein dümmlich dreinblickender Dinosaurier steht irgendwo in den Tiefen der Evolution, denkt nicht viel, kratzt sich am Kopf und kann oder will dabei nicht den riesigen Kometen bemerken, der mit Getöse auf ihn zurast. Als er ihm schließlich doch auffällt, ist es schon zu spät: Der Komet begräbt den Dino, ein wild hüpfender Affe tritt an seine Stelle, die nächste Stufe der Evolution beginnt. Was sich anhört wie ein Lehrfilm im Biologieunterricht, war der Auftritt von Jan Rutishauser, der sich mit seiner wilden Mischung aus Kunst und Comedy am Samstagabend gegen seine neun Konkurrenten beim „Wortgefecht“-Poetry Slam im Awo-Kulturhaus Babelsberg durchsetzte.
Organisiert wird der Dichterwettstreit, bei dem das Publikum über den Sieger entscheidet, von der Kulturwissenschafts- und Französisch-Studentin Geneviève Braune, die seit 2011 in Babelsberg wohnt. „Mein Ziel war es, ein bisschen mehr Kultur hier in den Kiez zu bringen“, sagte sie den PNN. Über das Online-Netzwerk Facebook nahm die 26-Jährige Kontakt zu verschiedenen Poetry-Slammern auf, fragte im Kulturhaus nach Räumlichkeiten und ist inzwischen so begeistert, dass sie die Veranstaltung fest etablieren möchte. „Ziel ist es, einmal im Monat einen Slam auf die Beine zu stellen“, sagte sie. „Die Szene ist locker und aufgeschlossen, gerade für die kleineren Bühnen, das macht einfach Spaß.“
Den hatte auch das Publikum bei Rutishausers Texten. Nur vom Zuhören zu sprechen, würde seiner Kunst nicht gerecht werden, die auch aus vielen Grimassen, Hüpfern und Armgesten besteht und mit der der 27-Jährige am Samstag bereits seinen dritten Poetry Slam gewann. Dabei bezeichnet sich der Schweizer nicht als Slammer, sondern als Kabarettist. In seiner Heimat ist Rutishauser hauptberuflich mit eigenen Programmen unterwegs. Ein Poetry Slam ist offen für alle Formen der Literatur, egal ob Prosa, Lyrik, Comedy oder sogar Rap, solange die Worte nur selbst geschrieben und ohne Requisiten in einer begrenzten Zeit vom Künstler selbst vorgetragen werden. Und Rutishauser überzeugte, egal ob er von traumatisierendem Flötenunterricht erzählt, beim Blinddate in seine Einzelteile zerlegt wird oder eben von den Mysterien der Evolution berichtet.
„Ich habe Bewegungstheater und Pantomime studiert“, erzählte Rutishauser. Irgendwann stellte er fest, dass er vor allem witzig sein will und dazu die Macht der Worte braucht. Inspirationen für seine Werke nimmt er dabei von überall her, manchmal sei es nur ein einzelner Satz oder ein Gedanke, der den Ausschlag gebe, wie er erzählte. „Alles andere ist dann viel Kopfarbeit, der Text entsteht quasi um den Gedanken drumherum“, sagt der Kabarettist: „Es ist jedes Mal ein bisschen wie Goldschürfen, aber ich genieße das sehr.“
Die Ergebnisse begeisterten das buntgemischte Publikum am Samstag so sehr, dass es den Schweizer in allen drei Runden des Slams zum Sieger kürte. Abgestimmt wurde mit Strohhalmen, die in die Höhe gehalten werden mussten. Überhaupt hatten die Zuschauer gute Laune und zeigten sich begeistert. „Es ist gute Unterhaltung und macht viel Spaß, dabei zu sein“, sagte die 21-jährige Anne Zöppig aus Babelsberg.
Auch Berit Palatinus aus Berlin-Köpenick, die einzige weibliche Slammerin am Samstag, zeigte sich beeindruckt: „So viel Qualität, wie heute Abend hier auf der Bühne war, findest du echt selten, selbst in Berlin.“
Recht hatte sie. Die Konkurrenz konnte sich sehen lassen: Da war zum Beispiel der zweitplatzierte Sebastian Randjunge, ebenfalls aus Köpenick, dessen Texte nicht nur überaus lebendig vorgetragen wurden, sondern auch so tiefgründig und zum Teil gesellschaftskritisch daherkamen, dass man die ein oder andere gehässige Bemerkung über Potsdam durchaus hören konnte. Aber auch Marien Lohas und Torben Denecke überzeugten mit wunderbar komponierten Texten, die von Leiden im Urlaub erzählten. Ihre Kollegen Paul Cossmer und Andreas Hahm fielen vor allem durch ihre spontanen Improvisationsdarbietungen auf, während der Potsdamer Slammer André Daniel mit seinen zauberhaften poetischen Prosagedichten an dem Abend fast schon ein wenig aus dem Rahmen fiel. Von Konkurrenzdenken spürte man nichts. „Wir sind eine große Slammerfamilie und sind auch untereinander befreundet“, sagte Rutishauser: „Wenn wir uns treffen, herrscht immer gute Stimmung.“ Sarah Kugler
Anmeldung für das nächste „Wortgefecht“ per Mail an genevievemomo@web.de.
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